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Unschuld und Verf�hrung

Baurmann 1983, S. 76-80

[S. 76]

[...] "Sprechen wir also davon, was die Kindheit wirklich ist, und nicht davon, was in den K�pfen der Erwachsenen spukt. Eines ist klar: Der Mythos des Kindheitsgl�cks bl�ht nicht deshalb so �ppig, weil er etwa die Bed�rfnisse der Kinder befriedigte, sondern weil er die Bed�rfnisse der Erwachsenen erf�llt. In einer Kultur von entfremdeten Menschen ist der Glaube, da� jeder zumindest einmal im Leben eine von Sorgen und Plackerei freie Zeit erlebt haben soll, nur schwer auszurotten. Es d�rfte wohl einleuchten, da� wir nicht erwarten, das Alter w�rde diese Zeit bringen. Also mu� sie bereits hinter uns liegen. Daher der Nebel der Sentimentalit�t, der jede Diskussion �ber Kinder und �ber die Kindheit umgibt. Im Namen der Kinder lebt jeder sienen privaten kleinen Traum aus." [Firestone, Nieder mit der Kindheit! in: Kursbuch 1973, S. 15]

Diese Tr�ume sind besonders ausgepr�gt anzutreffen in der Mittel- und Oberschicht. Ganz Industrien profitieren von der sozialen Segregation und der p�dagogischen Bevormundung, mit der Kinder in ihrer Kinderrolle gehalten werden. [...]

[S. 77] Wir wissen heute kaum noch, da� die Kindheit eine relativ neue Erfindung ist, da� Kinder vor zwei- bis dreihundert Jahren tats�chlich als kleine Erwachsene behandelt und dargestellt wurden. [...] Im Laufe der Verkindlichung wurde das Kind entm�ndigt und verschult. Das ging so weit, da� sich die Meinung durchsetzte, Kinder h�tten keine Sexualit�t. Besonders im B�rgertum wurde im Zusammenhang mit der Romantik dem Kind die schmutzige Sexualit�t mit all ihren Problemen abgesprochen. Es mu�te erst ein Sigmund Freud auftreten, um die Diskussion �ber Existenz und Nichtexistenz der kindlichen Sexualit�t wieder in Gang zu bringen. [...]

F�r den t�glichen Arbeitsproze� wird vom arbeitenden Menschen ein hohes Ma� an Disziplin gefordert. Sexuelles Verhalten - so die weit verbreitete Meinung -w�rde diese Disziplin sicherlich st�ren. [...]

F�r den Bereich der sexuellen Sublimierung bem�ngeln Kritiker denn auch, da� Freud nicht zwischen notwendiger und zus�tzlicher Unterdr�ckung unterschieden habe. So fordert Kentler eine genaue Differenzierung zwischen der partiellen, kultur-notwendigen Kontrolle der Triebe und der �berfl�ssigen Repression, die - betrachtet man den erreichten Stand der Produktivkr�fte in unserem Bereich - abgebaut werden k�nnte, ohne da� das vielseits bef�rchtete destruktive Triebchaos entst�nde. Der Abbau des "�berfl�ssigen" Teils der Sexualunterdr�ckung "gef�hrdet lediglich die hierarchische Herrschaftsordnung und f�rdert damit die Demokratisierung der Gesellschaft und die politische M�ndigkeit des einzelnen." [Kentler, F�r eine Revision der Sexualp�dagogik, S. 40] Obwohl diese Zielrichtung wohl niemand offen ablehnen kann, wird man den Eindruck nicht los, da� es Gruppen von Menschen gibt, die Mitmenschen wissend in einem Zustand vn Abh�ngigkeit und politischer Unm�ndigkeit halten.

[...]

[S. 79]

[...]

Wie das gesamte Sozialverhalten, mu� auch das Sexualverhalten schon sehr fr�h gelernt werden. Nun wird bei uns aber das soziale Lernen im sexuellen Bereich enorm erschwert, teilweise sogar verunm�glicht. Das wird ideologisch begr�ndet mit dem Begriff der Unschuld, dessen Existenz immer nur behauptet und nie belegt wird. Diese Vorstellung von der sexuellen Unschuld suggeriert, das Kind m��te in seiner sexuellen Unber�hrtheit erhalten bleiben, gesch�tzt werden. Das f�hrt dazu,

Viele unserer heutigen sozialen Probleme, z.B. mit der Jugend, haben hierin ihre Ursachen. Menschen, die gelernt haben, ihre sexuellen Bedr�rfnisse in unsinniger Weise zu "schlucken", werden leicht zu Duckm�usern, die sich auch anderen unsinnigen Machtaus�bungen unterordnen. Laufend erlebte Schuldgef�hle, die aus der allt�glichen Erfahrung resultieren, da� man mit seinen unzul�ssigen sexuellen Bed�rfnissen dauernd k�mpft, bringen einen Menschen zu einer Untersch�tzung seiner F�higkeiten und M�glichkeiten. Viele Kinder und Jugendliche bekommen auf diese Weise immer wieder beigebracht, da� sie die ewigen Versager sind. Wenn diese Unterdr�ckungsmechanismen im sexuellen Bereich funktionieren, dann tragen sie dazu bei, da� wir eine unkritische Generation haben.

Wird die Unterdr�ckung sehr weitgehend ausge�bt, dann kann daraus bei den Jugendlichen ein Aufbegehren in verschiedensten Formen entstehen. Die Generationskonflikte der j�ngsten Vergangenheit d�rften darin teilweise ihre Ursachen haben.

Die Unterdr�ckung und Verneinung der kindlichen Sexualit�t ist aber bei uns offensichtlich nur oberfl�chlich "erfolgreich". Dies l��t sich leicht an Bornemans gesammelten Kinderversen ablesen. Die Kinder passen sich dem Druck der Erwachsenen an und erleben und praktizieren ihre Sexualit�t im Verborgenen, quasi als "sexuelle Partisanen". Kinder der Mittelschicht halten dabei offensichtlich die informellen Normen strenger ein als Unerschichtkinder. "Wer in Gettoschulen unterrichtet, stellt fest, da� es unm�glich ist, die kindliche Sexualit�t an die Kette zu legen." [Firestone: Frauenbefreiung und sexuelle Revolution, S. 21] [...]