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Bendig B.

Gewaltfrei und einvernehmlich: Zur sexuellen Selbstbestimmung von Kindern und Jugendlichen

Aus: Leopardi (ed.), Der pädosexuelle Komplex, Berlin, Frankfurt (Main): Foerster, S.255-268 (1988)

Die Sorge um den Schutz der Kinder vor Schäden regt sich immer ganz besonders, wenn es um Sexualität geht. Hier wird stets das Schlimmste befürchtet, vor dem man Kinder nur durch Fernhalten und Abstinenz schützen zu können glaubt. Daß Kinder selber eine realistische Einschätzung für Gefährdungen entwickeln und sich entsprechend schützen können, wird ihnen auf sexuellem Gebiet rundweg abgestritten. Grundlage dieser Einschätzung ist regelmäßig die hartnäckige Verweigerung einer allerdings notwendigen Differenzierung von Sexualität und Gewalt.

Hierbei darf ebensowenig der Fehler der Idealisierung von Sexualität, wie der Bagatellisierung von Gewalt gemacht werden, sondern es geht darum, anzuerkennen, daß Kinder sexuelle Beziehungswünsche haben und auch zu Erwachsenen haben können, ebenso wie sie wirksamen Schutz vor unerwünschten oder gar gewaltsamen übergriffen benötigen. Die Frage nach der Willensfreiheit und der (sexuellen) Selbstbestimmungsfähigkeit insbesondere bei Kindern steht hierbei im Vordergrund.

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Diese Fähigkeit, sein eigenes Befinden und Wollen fühlen und ausdrücken zu können, ist in den Grundausdrucksformen keine Frage der Entwicklung oder des Lebensalters. Kinder haben ursprünglich auch ein sicheres Gefühl für die Reichweite ihres Beurteilungsvermögens und tasten sich nur soweit vor, daß der Rückzug in das Vertraute jederzeit möglich ist.

Die Gefährdung der Kinder geht nicht von ihnen selbst aus, sondern von den Erwachsenen, die ihnen diese Fähigkeit nicht zutrauen und aus Angst und "Besitzdenken" in das System der Selbststeuerungsfähigkeit eingreifen und die Befriedigung der kindlichen Bedürfnisse ihren eigenen Interessen unterwerfen.

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Obwohl sich in unserem Recht die überzeugung durchgesetzt hat, daß die Grundrechte des Menschen kraft des Menschseins selbst bestehen und unteilbar sind, begegnet die Gesellschaft ihrer Nachkommenschaft mit vielen Zwängen, die mit dem Glauben begründet sind, zu wissen, was für den anderen gut sei. Dabei spielt das, was die Kinder über ihre Befindlichkeit signalisieren oder gar was sie ausdrücklich wollen, je nach gestellter Anforderung nur eine geringe oder gar keine Rolle: Das Kind soll etwas Bestimmtes lernen, damit aus ihm was wird, damit es ihm einmal besser geht, damit es einmal stolz auf sich sein kann usw.

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Künstliche Eingriffe in das Selbstverfügungsrecht von Menschen sind so allgemein verbreitet, so selbstverständlich, so "pädagogisch" begründet, daß sie gar nicht als solche auffallen. Dieser mit dem Beginn des Lebens einsetzende Eingriffsprozeß beeinträchtigt zügig und weitreichend die Fähigkeit der Selbstbestimmung und das Beurteilungsvermögen des eigenen Selbst; er begünstigt statt dessen Abhängigkeitsstrukturen durch gegenseitige Ausnutzung dieser Abhängigkeiten.

Betrachtet man diesen Hintergrund einer insgesamt gewalttätigen Gesellschaftsstruktur, dann läßt sich die Aufregung, die die Realität von gewaltfreier und einvernehmlicher Sexualität zwischen Kindern und Erwachsenen öffentlich hervorruft, allein mit dem Schutzbedürfnis der Kinder nicht mehr glaubwürdig begründen, wenn im übrigen GEwalt gegen Kinder hingenommen und sexuelle Gewalt zum "bestgehüteten Geheimnis" der Familie wird: Gewalttätige Uebergriffe auf Kinder - im sexuellen Bereich vor allem auf Mädchen - kommen gerade im sozialen Nahfeld der Familie, Verwandschaft, Nachbarschaft vor."