In einer neueren Arbeit hatte sich Diesing zum Ziel gesetzt, ehemalige Sexualopfer bzw. deren Angeh�rige etwa acht Jahre nach dem angezeigten Sexualkontakt nachzuuntersuchen.
Leider ist der Aufbau der Untersuchung in der Ver�ffentlichung nur sehr ungenau beschrieben, so da� es nicht ganz leicht ist, ihre Bedeutung zu bewerten. Aus einigen Angaben zur Methodik geht allerdings hervor, da� der methodische Aufbau dieser Studie noch verbesserungsf�hig ist. Das ist einerseits schade, weil die eingeschlagene Vorgehensweise grunds�tzlich richtig ist, und weil andererseits die Untersuchung schon in der vorliegenden Form sicherlich einen erheblichen Arbeitsaufwand n�tig gemacht hat. Mit einem dann relativ gerinen Mehraufwand bei der methodischen Vorbereitung und bei der abschlie�enden statistischen Analyse h�tte eine wertvolle Arbeit entstehen k�nnen.
Diesing hatte die Akten der Staatsanwaltschaft Saarbr�cken der Jahre 1957 bis 1965 in F�llen von angeklagten Verst��en gegen den Par. 176 I 3 herangezogen. Anscheinend lagen allen herangezogenen Akten Glaubw�rdigkeitsgutachten bei. Interessant allerdings, wie der Zeitrahmen von den damals deklarierten Sexualopfern eingesch�tzt wurde, den der Gutachter damals f�r das diagnostische Interview ben�tigte. Wenn die deklarierten Sexualopfer r�ckblickend den zeitlichen Umfang der diagnostischen Gespr�che richtig einsch�tzen, dann war er erstaunlich gering. Diesing unterscheidet bei seiner Nachuntersuchung leider nicht ausreichend zwischen gewaltlosen und gewaltt�tigen Sexualkontakten.
F�r die Nachuntersuchung bei den ehemaligen deklarierten Sexualopfern schlo� er 78 F�lle aus, bei denen er vermutete, da� die deklarierten Opfer eventuell schon vor dem angeklagten Sexualkontakt psychisch gesch�digt waren, z.B. wenn sie aus gest�rtem sozialen Milieu kamen. Fernerhin wurden F�lle ausgeschlossen, bei denen ein Gutachter die Glaubw�rdigkeit des kindlichen Zeugen angezweifelt hatte. Weitere 101 "F�lle, bei denen aus unterschiedichen Gr�nden eine Nachuntersuchung nicht m�glich war" (S. 20) konnten ebenfalls nicht ber�cksichtigt werden. Es blieben 157 Probandinnen �brig, bei denen aber nicht von allen vergleichbare Daten erhoben werden konnten. In 142 F�llen wurde anscheinend ein Angeh�riger des ehemals deklarierten Opfers befragt, in 110 F�llen das deklarierte Opfer selbst. (Daraus ist zu schlie�en, da� in 47 F�llen nur Angeh�rige des Opfers befragt wurden.) Das Alter der deklarierten Opfer z.Z. des strafbaren Sexualkontakts reichte von drei bis driezehn Jahren ([im Mittel]= 10 Jahre), bei der Nachuntersuchung von acht bis 26 Jahre ([im Mittel] = 18 Jahre). Die ehemals deklarierten Sexualopfer wurden anscheinend f�r die Nachuntersuchung zu Hause besucht und es fand dort ein Gespr�ch mit einem Angeh�rigen und/oder dem Opfer statt. Daf�r gab es einen Gespr�chsleitfaden. Bei einigen der Probandinnen "kamen Tests zur Anwendung". (S. 35) Diesing fa�t die Ergebnisse seiner Untersuchung folgenderma�en zusammen.
"157 kindliche Opfer von Sexualdelikten wurden nach durchschnittlich acht Jahren katamnesich nachuntersucht. Nur in 6 F�llen (4%) lie�en sich langfristige Sch�digungen auf das Delikt zur�ckf�hren. Bei diesen Kindern erschwerten unter anderem prim�re Pers�nlichkeitsst�rungen wesentlich die psychische Verarbeitung des Erlebnisses.
Die Beeindruckung der Kinder ist weniger vom sexuellen Kern der Unzuchtshandlung als von weiteren Faktoren abh�ngig, n�mlich vom Rahmenverhalten des T�ters, der sozialen Beziehung zwischen ihm und dem Kind, von dessen Entwicklungsphase und von den vielf�ltigen Reaktionen der Umwelt, die sich speziell in der Aussprache mit den Eltern, der polizeilichen Ermittlung und dem Gerichtsverfahren manifestieren.
Konfliktf�rdernd ist die Konfrontation des Kindes mit den hinsichtlich von Sexualhandlungen bestehenden starken Tabus der Gesellschaft." (S. 133) Im gro�en und ganzen best�tigen diese Ergebnisse Erfahrungen, die viele Fachleute bei ihrer Gutachtert�tigkeit gemacht haben.
Unbefriedigend blieb bei der Bewertung der Ergebnisse, da� bei der Schadensbewertung die subjektive Einsch�tzung der Sexualopfer bzw. eines Angeh�rigen unterbewertete. In den 38 F�llen (=24,2%), in denen Opfer oder Angeh�rige von Sch�den sprachen, erkl�rte der Untersucher anhand seiner subjektiven Beurteilung oder anhand der Testergebnisse in 32 F�llen die Opfer als wahrscheinlich nicht gesch�digt. Damit werden in 32 F�llen die Angaben von - fr�her glaubw�rdigen - Opfern angezweifelt. Nur sechs Opfer wurden von Diesing als gesch�digt eingestuft.
Diese Vorgehensweise ist insofern bedenklich, als z.B. eventuell vom Opfer berichtete St�rungen im Sexualbereich (sexuelle �ngste u.�.) sich kaum in herk�mmlichen Testverfahren niederschlagen k�nnen, weil diese eben nicht gezielt zur Diagnose sexueller St�rungen konstruiert wurden. Man mu� sich offensichtlich davor h�ten, in die Selbstdarstellung des Opfers mit wissenschaftlichen Methoden korrigierend einzugreifen, vor allem, wenn die angewandte wissenschaftliche Methodik nicht frei von Schw�chen ist.