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Freud S.

Beitr�ge zur Psychologie des Liebeslebens

(1910)

Berlin, Verlag Volk und Welt, 1988, Bd.1, S.303-317

II

�ber die allgemeinste Erniedrigung des Liebeslebens

Wenn der psychoanalytische Praktiker sich fragt, wegen welchen Leidens er am h�ufigsten um Hilfe angegangen wird, so mu� er - absehend von der vielgestaltigen Angst - antworten: wegen psychischer Impotenz. [...]

Die erste Anleitung zum Verst�ndnis seines Zustandes erh�lt der Kranke selbst, wenn er die Erfahrung macht, da� ein solches Versagen nur beim Versuch mit gewissen Personen auftritt, w�hrend es bei anderen niemals in Frage kommt. Er wei� dann, da� es eine Eigenschaft des Sexualobjekts ist, von welcher die Hemmung seiner m�nnlichen Potenz ausgeht, und berichtet manchmal, er habe die Empfindung eines Hindernisses in seinem Innern, die Wahrnehmung eines Gegenwillens, der die bewu�te Absicht mit Erfolg st�re. Er kann aber nicht erraten, was dies innere Hindernis ist und welche Eigenschaft des Sexualobjekts es zur Wirkung bringt.

[p.304] Unterzieht man die F�lle von greller psychischer Impotenz einem eindringlichen Studium mittels der Psychoanalyse, so gewinnt man folgende Auskunft [...] Es sind hier zwei Str�mungen nicht zusammengetroffen, deren Vereinigung erst ein v�llig normales Liebesverhalten sichert, zwei Str�mungen, die wir als die z�rtliche und die sinnliche voneinander unterscheiden k�nnen.

[p.305] Die "Z�rtlichkeit" der Eltern und Pflegepersonen, die ihren erotischen Charakter selten verleugnet ("das Kind als erotisches Spielzeug"), tut sehr viel dazu, die Beitr�ge der Erotik zu den Besetzungen der Ichtriebe beim Kinde zu erh�hen und sie auf ein Ma� zu bringen, welches in der sp�teren Entwicklung in Betracht kommen mu�, besonders wenn gewisse andere Verh�ltnisse dazu ihren Beistand leisten.

Diese z�rtlichen Fixierungen des Kindes setzen sich durch die Kindheit fort und nehmen immer wieder Erotik mit sich, die dadurch von ihren sexuellen Zielen abgelenkt wird. Im Lebensalter der Pubert�t tritt nun die m�chtige "sinnliche" Str�mung hinzu, die ihre Ziele nicht mehr verkennt. [...] Diese fremden Objekte werden immer noch nach dem Vorbild (der Imago) der infantilen gew�hlt werden, aber sie werden mit der Zeit die Z�rtlichkeit an sich ziehen, [p.306] die an die fr�heren gekettet war. Der Mann wird Vater und Mutter verlassen - nach der biblischen Vorschrift - und seinem Weibe nachgehen, Z�rtlichkeit und Sinnlichkeit sind dann beisammen. Die h�chsten Grade von sinnlicher Verliebtheit werden die h�chste psychische Wertsch�tzung mit sich bringen. (Die normale �bersch�tzung des Sexualobjekts von seiten des Mannes.)

[p.307, �ber das] Zustandekommen der eigentlich sogenannten psychischen Impotenz

[...] Die Sexualbet�tigung solcher Personen l��t aber an den deutlichsten Anzeichen erkennen, da� nicht die volle psychische Triebkraft hinter ihr steht. [...] wenn von einer Person ein Eindruck ausgeht, der zu hoher psychischer Wertsch�tzung f�hren k�nnte, so l�uft er nicht in Erregung der Sinnlichkeit, sondern in erotisch unwirksame Z�rtlichkeit aus. Das Liebesleben solcher Menschen bleibt in zwei Richtungen gespalten, die von der Kunst als himmlische un irdische (oder tierische) Liebe personifiziert werden. Wo sie lieben, begehren sie nicht, wo sie begehren, k�nnen sie nicht lieben.

[p.308] Das Hauptschutzmittel gegen solche St�rung, dessen sich der Mensch in dieser Liebesspaltung bedient, besteht in der psychischen Erniedrigung des Sexualobjektes [...] Sowie die Bedingung der Erniedrigung erf�llt ist, kann sich die Sinnlichkeit frei �u�ern, bedeutende sexuelle Leistungen und hohe Lust entwickeln. [...]

Personen, bei denen die z�rtliche und die sinnliche Str�mung nicht ordentlich zusammengeflossen sind, haben auch meist ein wenig verfeinertes Liebesleben; perverse Sexualziele sind bei ihnen erhalten geblieben, deren Nichterf�llung als empfindliche Lusteinbu�e versp�rt wird, deren Erf�llung aber nur am erniedrigten, geringgesch�tzten Sexualobjekt m�glich erscheint.

Die in dem ersten Beitrag erw�hnten Phantasien des Knaben, welche die Mutter zur Dirne herabsetzen, werden nun dem Motiv nach verst�ndlich. Es sind Bem�hungen, die Kluft zwischen den beiden Str�mungen des Liebeslebens wenigstens in der Phantasie zu �berbr�cken, die Mutter durch Erniedrigung zum Objekt f�r die Sinnlichkeit zu gewinnen.

2

[p.310] Wenn wir aber nicht nach einer Erweiterung des Begriffes der psychischen Impotenz, sondern nahc den Abschattungen ihrer Symptome ausschauen, dan k�nnen wir uns der Einsicht nicht verschlie�en, da� das Liebesverhalten des Mannes in unserer heutigen Kulturwelt �berhaupt den Typus der psychischen Impotenz an sich tr�gt. Die z�rtliche und die sinnliche Str�mung sind bei den wenigsten unter den Gebildeten geh�rig miteinander verschmolzen; fast immer f�hlt sich der Mann in seiner sexuellen Bet�tigung durch den Respekt vor dem Weib beengt und entwickelt seine volle Potenz erst, wenn er ein erniedrigtes Sexualobjekt vor sich hat, was wiederum durch den Umstand mitbegr�ndet ist, da� in seine Sexualziele perverse Komponenten eingehen, die er am geachteten Weibe zu befriedigen sich nicht getraut. [...]

[p.311] Es klingt wenig anmutend und paradox, aber es mu� doch gesagt werden, da�, wer im Liebesleben wirklich frei und damit auch gl�cklich werden soll, sich mit der Vorstellung des Inzests mit Mutter oder Schwester befreundet haben mu�. Wer sich dieser Anforderung gegen�ber einer ernsthaften Selbstpr�fung unterwirft, wird ohne Zweifel in sich finden, da� er den Sexualakt im Grunde doch als etwas Erniedrigendes beurteilt, was nicht nur leiblich befleckt und verunreinigt. Die Entstehung dieser Wertung, die er sich gewi� nicht gerne bekennt, wird er nur in jener Zeit seiner Jugend suchen k�nnen, in welcher seine sinnliche Str�mung bereits stark entwickelt, ihre Befriedigung aber am fremden Objekt fast eben so verboten war wie am inzestu�sen.

Die Frauen stehen in unserer Kulturwelt unter einer �hnlichen Nachwirkung ihrer Erziehung und �berdies unter der R�ckwirkung des Verhaltens der M�nner. [...] Die lange Abhaltung von der Sexualit�t und das Verweilen der Sinnlichkeit in der Phantasie hat f�r sie aber eine andere bedeutsame Folge. Sie kann dann oft die Verkn�pfung der sinnlichen Bet�tigung mit dem Verbot nicht mehr l�sen und erweist sich als psychisch impotent, d.h. frigid, wenn ihr solche Bet�tigung endlich gestattet wird. Daher r�hrt bei vielen Frauen das Bestreben, das Geheimnis noch bei erlaubten Beziehungen eine Weile festzuhalten, bei anderen die F�higkeit, normal zu empfinden, sobald die Bedingung des Verbots in einem geheimen Liebesverh�ltnis wiederhergestellt ist; dem Mann untreu, sind sie imstande, dem Liebhaber eine Treue zweiter Ordnung zu bewahren.

Ich meine, die Bedingung des Verbotenen im weiblichen Liebesleben ist dem Bed�rfnis nach Erniedrigung des Sexualojekts beim Mann gleichzustellen. Beide sind Folgen des langen Aufschubs zwischen Geschlechtsreife und Sexualbet�tigung, den die Erziehung aus kulturellen Gr�nden fordert. Beide suchen die psychische Impotenz aufzuheben, welche aus dem Nichtzusammentreffen z�rtlicher und sinnlicher Regungen resultiert.