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Freud S.

Vorlesungen zur Einf�hrung in die Psychoanalyse

(1916)

in: D. Simon (ed.) Sigmund Freud, Essays, Berlin: Volk und Welt 1988, Bd.II, pp.121-402

Einige Zitate

[p.319] ... m�chte ich ihnen ein Beispiel vorf�hren, das zwar durchaus erfunden ist, sich aber in keinem Punkte von der Wahrscheinlichkeit entfernt. [...] Zu ebener Erde wohnt der Hausbesorger, im ersten Stock der Hausherr, ein reicher und vornehmer Mann. Beide haben Kinder, und wir wollen annehmen, da� es dem T�chterchen des Hausherrn gestattet ist, unbeaufsichtigt mit dem Proletenkind zu spielen. Dann kann es sehr leicht geschehen, da� die Spiele der Kinder einen ungezogenen, das hei�t sexuellen Charakter annehmen, da� sie "Vater und Mutter" spielen, einander bei intimen Verrichtungen beschauen und an den Genitalien reizen. Das Hausmeisterm�dchen, das trotz seiner f�nf oder sechs Jahre manches von der Sexualit�t der Erwachsenen beobachten konnte, mag dabei die Rolle der Verf�hrerin �bernehmen. Diese Erlebnisse reichen hin, auch wenn sie sich nicht �ber lange Zeit fortsetzen, um bei beiden Kindern gewisse sexuelle Regungen zu aktivieren, die sich nach dem Aufh�ren der gemeinsamen Spiele einige Jahre hindurch als Masturbation �u�ern. Soweit die Gemeinsamkeit; der endliche Erfolg wird bei beiden Kindern sehr verschieden sein. Die Hausmeistertochter wird die Masturbation etwa bis zum Auftreten der Periode fortsetzen, sie dann ohne Schwierigkeiten aufgeben, wenige Jahre sp�ter einen Geliebten nehmen, vielleicht auch ein Kind bekommen, diesen oder jenen Lebensweg einschlagen, der sie vielleicht zur popul�ren K�nstlerin f�hrt, die als Aristokratin endigt. Wahrscheinlich wird ihr Schicksal minder gl�nzend ausfallen, aber jedenfalls wird sie ungesch�digt durch die vorzeitige Bet�tigung ihrer Sexualit�t, frei von Neurose, ihr Leben erf�llen.

Anders das T�chterchen des Hausherrn. Dies wird fr�hzeitig und noch als Kind die Ahnung bekommen, da� es etwas Unrechtes getan habe, wird nach k�rzester Zeit, aber vielleicht erst nach hartem Kampf, auf die masturbatorische Befriedigung verzichten und trotzdem etwas Gedr�cktes in seinem Leben behalten. Wenn sie in den Jungm�dchenjahren in die Lage kommt, etwas vom menschlichen Sexualverkehr zu erfahren, wird sie sich mit unerkl�rtem Abscheu davon abwenden und unwissend bleiben wollen. Wahrscheinlich unterliegt sie jetzt auch einem von neuem auftretenden unbezwingbarem Drang zur Maturbation, �ber den zu beklagen sie nicht wagt. In den Jahren, da sie einem Manne als Weib gefallen soll, wird die Neurose bei ihr losbrechen, die sie um Ehe und Lebenshoffnung betr�gt. Gelingt es nun, durch Analyse Einsicht in diese Neurose zu gewinnen, so zeigt sich, da� dies wohlerzogene, intelligente und hochstrebende M�dchen seine Sexualregungen vollkommen verdr�ngt hat, da� diese aber, ihr unbewu�t, an den armseligen Erlebnissen mit ihrer Kinderfreundin haften.

Die Verschiedenheit der beiden Schicksale trotz gleichen Erlebens r�hrt daher, da� das Ich der einen eine Entwicklung erfahren hat, welche bei der anderen nicht eingetreten ist. Der Tochter des Hausbesorgers ist die Sexualbet�tigung sp�ter ebenso nat�rlich und unbedenklich erschienen wie in der Kindheit. Die Tochter des Hausherrn hat die Einwirkung der Erziehung erfahren und deren Anspr�che angenommen. Ihr Ich hat aus den ihm dargebotenen Anregungen Ideale von weiblicher Reinheit und Unbed�rftigkeit gebildet, mit denen sich ihre sexuelle Bet�tigung nicht vertr�gt; ihre intellektuelle Ausbildung hat ihr Interesse f�r die weibliche Rolle, zu der sie bestimmt ist, erniedrigt. Durch diese h�here moralische und intellektuelle Entwicklung ihres Ichs ist sie in Konflikt mit den Anspr�chen ihrer Sexualit�t geraten.

[p.322] Die Neurotiker geh�ren zu den Kindern, bei welchen diese Strenge �ble Erfolge gebracht hat, aber das ist bei jeder Erziehung zu riskieren.

[...]Die Sexualtriebe sind schwerer erziehbar, denn sie kennen zu Anfang die Objektnot nicht. Da sie sich [...] am eigenen K�rper autoerotisch befriedigen, sind sie dem erzieherischen Einflu� der realen Not zun�chst entzogen, und sie behaupten diesen Charakter der Eigenwilligkeit, Unbeeinflu�barkeit, das, was wir "Unverst�ndigkeit" nennen, bei den meisten Menschen in irgendeiner Hinsicht durchs ganze Leben. Auch hat die Erziehbarkeit einer jungen Person in der Regel ein Ende, wenn ihre Sexualbed�rfnisse in endg�ltiger St�rke erwachen. Das wissen die Erzieher und handeln danach;

[p.333] Diese Verh�ltnisse haben ein gewisses Interesse f�r die P�dagogik, die sich eine Verh�tung der Neurosen durch fr�zeitiges Eingreifen in die Sexualentwicklung des Kindes zum Vorsatz nimmt. Solange man seine Aufmerksamkeit vorwiegend auf infantile Sexualerlebnisse gerichtet h�lt, mu� man meinen, man habe alles f�r die Prophylaxe nerv�ser Erkrankungen getan, wenn man daf�r sorgt, da� diese Entwicklung verz�gert werde und da� dem Kinde derartige Erlebnisse erspart bleiben. Allein wir wissen schon, da� die Bedingungen der Verursachung f�r die Neurosen komplizierte sind und durch die Ber�cksichtigung eines einzigen Faktors nicht allgemein beeinflu�t werden k�nnen. Die strenge Beh�tung der Kindheit verliert an Wert, weil sie gegen den konstitutionellen Faktor ohnm�chtig ist; sie ist �berdies schwerer durchzuf�hren, als die Erzieher sich vorstellen, und sie bringt zwei neue Gefahren mit sich, die nicht gering zu sch�tzen sind: da� sie zu viel erreicht, n�mlich ein f�r die Folge sch�dliches �berma� an Sexualverdr�ngung beg�nstigt, und da� sie das Kind widerstandlos gegen den inder Pubert�t zu erwartenden Ansturm der Sexualforderungen ins Leben schickt.

[p.340] Besonderes Interesse hat die Phantasie der Verf�hrung, weil sie nur zu oft keine Phantasie, sondern reale Erinnerung ist. Aber zum Gl�ck ist sie doch nicht so h�ufig real, wie es nach den Ergebnissen der Analyse zuerst den Anschein hatte. Die Verf�hrung durch �ltere oder gleichaltrige Kinder ist immer noch h�ufiger als die durch Erwachsene, und wenn bei den M�dchen, welche diese Begebenheit in ihrer Kindergeschichte vorbringen, ziemlich regelm��ig der Vater als Verf�hrer auftritt, so leidet weder die phantastische Natur dieser Beschuldigung noch das zu ihr dr�ngende Motiv einen Zweifel. Mit der Verf�hrungsphantasie, wo keine Verf�hrung stattgefunden hat, deckt das Kind in der Regel die autoerotische Periode seiner Sexualbet�tigung. Es erspart sich die Besch�mung �ber die Masturbation, indem es ein begehrtes Objekt in diese fr�hesten Zeiten zur�ckphantasiert. Glauben sie �brigens nicht, da� sexueller Mi�brauch des Kindes durch die n�chsten m�nnlichen Verwandten durchaus dem Reiche der Phantasie angeh�rt. Die meisten Analytiker werden F�lle behandelt haben, in denen solche Beziehungen real waren und einwandfrei festgestellt werden konnten; nur geh�rten sie auch dann sp�teren Kindheitsjahren an und waren in fr�here eingetragen worden.

[p.340-341] Man empf�ngt keinen anderen Eindruck, als da� solche Kinderbegebenheiten irgendwie notwendig verlangt werden, zum eisernen Bestand der Neurose geh�ren. Sind sie in der Realit�t enthalten, dann ist es gut; hat sie die Realit�t verweigert, wo werden sie aus Andeutungen hergestellt und durch Phantasie erg�nzt. Das Ergebnis ist das gleiche, und es ist uns bis heute nicht gelungen, einen Unterschied in den Folgen nachzuweisen, wenn die Phantasie oder die Realit�t den gr��eren Anteil an diesen Kindheitsbegebenheiten hat.

[p.367] Es ist nicht die Rede davon, da� der Rat, sich sexuell auszuleben, in der analytischen Therapie eine Rolle spielen k�nnte.

[p.368] Und �berdies kann ich ihnen versichern, da� Sie falsch berichtet sind, wenn Sie annehmen, Rat und Leitung in den Angelegenheiten des Lebens sei integrierendes St�ck der analytischen Beeinflussung.

[...] Aus dem Eifer, mit dem ich mich gegen den Vorwurf verteidige, da� der Nerv�se in der analytischen Kur zum Sichausleben angeleitet wird, d�rfen Sie aber nicht den Schlu� ziehen, da� wir zu Gunsten der gesellschaftlichen Sittsamkeit auf ihn wirken. Das liegt uns zum mindesten ebenso ferne. Wir sind zwar keine Reformer, sondern blo� Beobachter, aber wir k�nnen nicht umhin, mit kritischen Augen zu beobachten, und haben es unm�glich gefunden, f�r die konventionelle Sexualmoral Partei zu nehmen, die Art, wie die Gesellschaft die Probleme des Sexuallebens praktisch zu ordnen versucht, hoch einzusch�tzen. Wir k�nnen es der Gesellschaft glatt vorrechnen, da� das, was sie ihre Sittlichkeit hei�t, mehr Opfer kostet, als es wert ist, und da� ihr Verfahren weder auf Wahrhaftigkeit beruht noch von Klugheit zeugt. Wir ersparen unseren Patienten nicht, diese Kritik mitanzuh�ren, wir gew�hnen sie an vorurteilsfreie Erw�gung der sexuellen Angelegenheiten wie aller anderen [...]