[p.215]
[p.180] Niemand ist gesetzlich verpflichtet, einen Fall von sexuellem Kindesmißbrauch den Ermittlungsbehörden anzuzeigen. Dies gilt auch für Personen, die dienstlich davon erfahren (Par. 138 StGB). Grundsätzlich sollte eine Strafanzeige zunächst unterbleiben. In der Regel steht das Ermittlungsinteresse von Polizei und Staatsanwaltschaft dem Kindeswohl diametral gegenüber. Deshalb sollte eine Strafanzeige nur über eine mit der Problematik vertrauten Rechtsanwältin gemacht werden. [...]
Eine Strafanzeige sollte keinesfalls vorschnell erstattet werden. Sicher werden oft deshalb so schnell Strafanzeigen erstattet, weil die vielfältigen Möglichkeiten des Zivilrechts zu wenig bekannt sind. Aber auch die zivilrechtlichen Schritte müssen gut überlegt sein. [...] Es müssen rechtliche Maßnahmen eingeleitet werden, die eine dauerhafte räumliche Trennung vom Täter gewährleisten. [...]
[p. 187]
Sexueller Kindesmißbrauch ist strafbar. Aber niemand, auch nicht das Jugendamt, ist verpflichtet, das Strafverfahren zu initiieren. Haben Polizei oder Staatsanwaltschaft Kenntnis vom Verbrechen, so kann das Ermittlungsverfahren nicht mehr aufgehalten werden. [...]
Die Entscheidung, ob ein Strafverfahren gegen den Täter in Gang gesetzt wird, sollte vom Willen des Kindes, soweit dies wegen seines Alters möglich ist, abhängig gemacht werden. Es ist ratsam, daß eine Anwältin dem Kind bei der Entscheidung zur Seite steht. Eine Strafanzeige muß gut überlegt werden. Das mißbrauchte Kind ist Objekt erwachsener Wünsche gewesen. Wir müssen aufpassen, daß wir das Kind nicht wieder zum Objekt erwachsener Wünsche machen.
[...]
[p.188] Niemals sollte zugelassen werden, daß das Mädchen / der Junge ohne anwaltlichen Beistand von den Ermittlungsbehörden vernommen wird! Leider werden Kinder und Heranwachsende immer wieder, oft sogar allein, zu Vernehmungen geschickt. Nochmals: Polizei und Staatsanwaltschaft haben ganz andere Interessen als das Kindeswohl im Auge. Je seltener das Kind aussagen muß, desto besser.