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Sigusch V.

Der "T�ter" wird verst�mmelt

in: Angelo Leopardi (ed.), Der p�dosexuelle Komplex, Berlin, Frankfurt (Main): Foerster, S.187-191 (1988)

Der Sexualwissenschaftler Volkmar Sigusch zur Stereotaxie

Seit Jahrzehnten werden p�dophile Straft�ter im wahrsten Sinne des Wortes "ausgeschaltet": Teile ihres Gehirns werden verst�mmelt, um sexuelle W�nsche und Phantasien auszumerzen. Gehirnchiurgen kennen daf�r den Fachausdruck "Stereotaxie". Diese Behandlungsmethode P�dophiler ist bis heute weitgehend ein Dunkelfeld geblieben. Niemandem au�er den unmittelbar betroffenen Patienten und �rzten ist etwas dar�ber bekannt. Der Sexualwissenschaftler Volkmar Sigusch, selbst unter P�dophilen umstritten, �u�ert sich in dem folgenden, nicht autorisierten Interview zum Thema Stereotaxie.

Frage:
Von der "Komission der Psychiatrie gegen Menschenrechte" in M�nchen wurde eine Dunkelziffer von gesch�tzten 20.000 stereotaktischen Eingriffen mitgeteilt. Diese Zahl st�tzt sich nach Aussagen der Komission auf die in Freiburg durchgef�hrten Operationen. Dort sollen 5.000 derartige Eingriffe vorgenommen worden sein. Genauere Angaben konnte die Kommission nicht machen. Wir m�chten nun wissen, ob sie sagen k�nnen, nach welchen Personengruppen diese Zahlen zu unterscheiden sind und wie hoch etwa der Anteil der Sexualstraft�ter, insbesondere der Homosexuellen ist.
Antwort:
Seitdem sogenannte Psychochiurgie betrieben wird, sind nachweislich mahr als 100.000 Menschen am Hirn verst�mmelt worden. Der Anwendungsbereich, die sogenannten Indikationen, reichen von Neurosen, besonders Phobien und Zwangsneurosen, �ber irgendwelche Verhaltensauff�lligkeiten, Alkoholismus, Drogenabh�ngigkeit, abweichendes Sexualverhalten bis zu Aggressivit�t, Kriminalit�t und Psychosen. Es ist auch �ber Operationen an schwachsinnigen Kindern sowie wegen Ehebruchs und unregelm��igem Stuhlgang berichtet worden. Wieviele Hirneingriffe dieser Art in der BRD bisher vorgenommen worden sind, ist unbekannt. Wir selber waren vor allem darum bem�ht, festzustellen, wie viele Menschen mit abweichendem Sexualverhalten bisher in der BRD operiert worden sind.

In einer �ffentlichen Erkl�rung haben wir dazu Stellung genommen. Bis dahin waren etwa 50 als sexuell abnorm bezeichnete M�nner stereotaktischen Eingriffen unterzogen worden. Darunter befanden sich auch Homosexuelle und P�dophile. Trotz unserer Stellungnahme haben Psychochiurgen in G�ttingen, Hamburg und Homburg/Saar weiterhin sogenannte Sexualstraft�ter und Menschen mit abweichendem Sexualverhalten operiert.

Frage:
Aus Ver�ffentlichungen der Stereotaktiker wissen wir, da� diese auf sogenannte Freiwilligkeit ihrer Patienten abstellen. Wandten sich auch an Sie Homosexuelle, die sich stereotaktisch behandeln lassen wollten? Wie sieht im allgemeinen die Gutachtert�tigkeit aus und wer f�hrt den Operateuren die Patienten zu?
Antwort:
Ich kann mich nur an einen einzigen Homosexuellen erinnern, der sich, als ich noch in Hamburg war, an mich wegen eines derartigen Eingriffs gewandt hat. Es handelte sich um einen Patienten, der seine homosexuellen Triebw�nsche stark abwehrte. Die meisten Patienten werden den Operateuren direkt von den Psychiatern zugef�hrt, die in Justizvollzugsanstalten t�tig sind. Von Freiwilligkeit der Entscheidung kann nat�rlich unter diesen Umst�nden �berhaupt keine Rede sein.
Frage:
Wie sie bereits sagten, haben Sie sich zusammen mit Ihren Kollegen �ffentlich vehement gegen stereotaktische Hirnoperationen ausgesprochen. Wie ist die allgemeine Haltung der deutschen �rzteschaft in diesem Streit zwischen Ihnen und den �rztlichen Operateuren? Konnten Sie durch Ihren Gang an die �ffentlichkeit "Solidarit�t" von Ihren Kollegen an Universit�ten wie Kliniken erfahren?
Antwort:
Wir haben gefordert, da� derartige Eingriffe eingestellt werden. Wir haben weiterhin verlangt, da� die bisher Operierten, so weit das �berhaupt noch m�glich ist, von einer interdisziplin�r zusammengesetzten Gruppe von Wissenschaftlern innerhalb der folgenden Jahre systematisch untersucht werden Diese Gruppe sollte nach unserer Auffassung aus Psychiatern, Psychoanalytikern, Sexualwissenschaftlern und Verhaltenstherapeuten universit�rer Einrichtungen bestehen. Diese Wissenschaftler sollten nicht zu denen geh�ren, die die Indikationen gestellt und die Operationen durchgef�hrt haben. Nach unserer �ffentlichen Stellungnahme haben wir von einigen Kollegen, zum TEil auch ganz unerwartet, auch Zustimmung erhalten. Das darf aber nicht dar�ber hinwegt�uschen, da� die herrschende Medizin eine K�rpermedizin ist, das hei�t, die Erkrankungen des Menschen werden so betrachtet, als seien sie k�rperlich verursacht oder jedenfalls prinzipiell k�rperlich begr�ndbar. In diesem Sinne werden sie dann auch behandelt. [...] Die sogenannte Psychochiurgie, die sich auch "Verhaltenschiurgie" oder "Triebchiurgie" nennt, ist nur eine Variante in dieser Richtung. [...]
Frage:
Wie ist die Wissenschaftsauffassung der Stereotaktiker zu kritisieren? Wir denken hier an mangelnde �bersicht, Nachkontrolle, zweifelhafte Erfolge, falsche Diagnosen, mangelnde psychotherapeutische Beratung der "Hilfesuchenden" usw.
Antwort:
Wir haben festgestellt, da� die Dokumentation der bisherigen Operationen �u�erst unzul�nglich ist. Den wissenschaftlichen Publikationen der Operateure ist nicht einmal mit Sicherheit zu entnehmen, wieviele Menschen sie �berhaupt operiert haben. Die Vor- und Nachuntersuchungen sind unter verschiedensten Aspekten �u�ertst mangelhaft bis aussagelos. Unerw�nschte Wirkungen der Hirneingriffe sind nachl�ssig oder �berhaupt nicht �berpr�ft worden. R�ckf�lle werden vertuscht. Der Anwendungsbereich bzw. die Indikationsstellung ist - wie gesagt - �u�erst fahrl�ssig bis fragw�rdig.
Frage:
Wie k�nnte man diese Medizinerschule etwa zu einem politischen Offenbarungseid zwingen, um zu erfahren, in welcher Tradition diese Schule steht, worauf sie die "Natur" des Menschen reduziert und iwe sie die Psyche negiert?
Antwort:
Einen eklatanten Offenbarungseid haben US-amerikanische Psychochiurgen bereits geleistet. Sie haben �ffentlich angeregt, "Aufr�hrer", "Gewaltt�ter" und "Krawallmacher" durch hirnoperationen zu "behandeln". Das war schon 1967 auf einem H�hepunkt der Klassenk�mpfe und der B�rgerrechtsbewegung in den USA. Diese Psychochiurgen vertraten die Auffassung, da� Menschen, die auf diese Weise die gesellschaftlichen Verh�ltnisse ver�ndern wollen, nach medizinischer Erkenntnis an einer Hirnfunktionsst�rung leiden m�ssen. Im �brigen liegen Berichte dar�ber vor, da� eindeutig politisch motivierte Deliquenten, beispielsweise Flugzeugentf�hrer, tats�chlich am Hirn operiert worden sind.
Frage:
Wie k�nnte hier in der BRD nach ihrer Meinung eine Politisierung der medizinischen Praxis gelingen, wie sie etwa in Frankreich oder Italien gelang?
Antwort:
Angesichts der verst�rkten Rechtsentwicklung in der BRD bin ich sehr skeptisch, ob solche Entwicklungen, wie wir sie in Frankreich und Italien beobachten konnten, auf einige Sicht in der BRD �berhaupt m�glich sind. Auf jeden Fall werden die hiesigen gesellschaftlichen Verh�ltnisse nicht durch Sexualwissenschaftler oder Psychotherapeuten humanisiert. Einzelne Wissenschaftler k�nnen nur so progressiv sein, wie die gesellschaftlichen Verh�ltnisse es gestatten. Die wirklich ver�ndernde politische Arbeit ist Sache der sozialen und politischen Bewegung. Ihre Kraft wird auch dar�ber entscheiden, ob es in der BRD weiterhin m�glich sein wird, mit seelisch Kranken, Strafgefangenen, Homosexuellen oder P�dophilen so unmenschlich umzugehen, wie es Psychochiurgen unter unser aller Augen tun.