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Sigusch V.
Der "Täter" wird verstümmelt
Der Sexualwissenschaftler Volkmar Sigusch zur Stereotaxie
Seit Jahrzehnten werden pädophile Straftäter im wahrsten Sinne des
Wortes "ausgeschaltet": Teile ihres Gehirns werden verstümmelt, um
sexuelle Wünsche und Phantasien auszumerzen. Gehirnchiurgen kennen
dafür den Fachausdruck "Stereotaxie". Diese Behandlungsmethode
Pädophiler ist bis heute weitgehend ein Dunkelfeld
geblieben. Niemandem außer den unmittelbar betroffenen Patienten und
Ärzten ist etwas darüber bekannt. Der Sexualwissenschaftler Volkmar
Sigusch, selbst unter Pädophilen umstritten, äußert sich in dem
folgenden, nicht autorisierten Interview zum Thema Stereotaxie.
- Frage:
- Von der "Komission der Psychiatrie gegen
Menschenrechte" in München wurde eine Dunkelziffer von geschätzten
20.000 stereotaktischen Eingriffen mitgeteilt. Diese Zahl stützt sich
nach Aussagen der Komission auf die in Freiburg durchgeführten
Operationen. Dort sollen 5.000 derartige Eingriffe vorgenommen worden
sein. Genauere Angaben konnte die Kommission nicht machen. Wir
möchten nun wissen, ob sie sagen können, nach welchen
Personengruppen diese Zahlen zu unterscheiden sind und wie hoch etwa
der Anteil der Sexualstraftäter, insbesondere der Homosexuellen ist.
- Antwort:
- Seitdem sogenannte Psychochiurgie betrieben wird,
sind nachweislich mahr als 100.000 Menschen am Hirn verstümmelt
worden. Der Anwendungsbereich, die sogenannten Indikationen, reichen
von Neurosen, besonders Phobien und Zwangsneurosen, über irgendwelche
Verhaltensauffälligkeiten, Alkoholismus, Drogenabhängigkeit,
abweichendes Sexualverhalten bis zu Aggressivität, Kriminalität und
Psychosen. Es ist auch über Operationen an schwachsinnigen Kindern
sowie wegen Ehebruchs und unregelmäßigem Stuhlgang berichtet worden.
Wieviele Hirneingriffe dieser Art in der BRD bisher vorgenommen worden
sind, ist unbekannt. Wir selber waren vor allem darum bemüht,
festzustellen, wie viele Menschen mit abweichendem Sexualverhalten
bisher in der BRD operiert worden sind.
In einer öffentlichen Erklärung haben wir dazu Stellung
genommen. Bis dahin waren etwa 50 als sexuell abnorm bezeichnete
Männer stereotaktischen Eingriffen unterzogen worden. Darunter
befanden sich auch Homosexuelle und Pädophile. Trotz unserer
Stellungnahme haben Psychochiurgen in Göttingen, Hamburg und
Homburg/Saar weiterhin sogenannte Sexualstraftäter und Menschen mit
abweichendem Sexualverhalten operiert.
- Frage:
- Aus Veröffentlichungen der Stereotaktiker wissen
wir, daß diese auf sogenannte Freiwilligkeit ihrer Patienten
abstellen. Wandten sich auch an Sie Homosexuelle, die sich
stereotaktisch behandeln lassen wollten? Wie sieht im allgemeinen die
Gutachtertätigkeit aus und wer führt den Operateuren die Patienten
zu?
- Antwort:
- Ich kann mich nur an einen einzigen Homosexuellen
erinnern, der sich, als ich noch in Hamburg war, an mich wegen eines
derartigen Eingriffs gewandt hat. Es handelte sich um einen Patienten,
der seine homosexuellen Triebwünsche stark abwehrte. Die meisten
Patienten werden den Operateuren direkt von den Psychiatern
zugeführt, die in Justizvollzugsanstalten tätig sind. Von
Freiwilligkeit der Entscheidung kann natürlich unter diesen
Umständen überhaupt keine Rede sein.
- Frage:
- Wie sie bereits sagten, haben Sie sich zusammen mit
Ihren Kollegen öffentlich vehement gegen stereotaktische
Hirnoperationen ausgesprochen. Wie ist die allgemeine Haltung der
deutschen Ärzteschaft in diesem Streit zwischen Ihnen und den
ärztlichen Operateuren? Konnten Sie durch Ihren Gang an die
Öffentlichkeit "Solidarität" von Ihren Kollegen an Universitäten
wie Kliniken erfahren?
- Antwort:
- Wir haben gefordert, daß derartige Eingriffe eingestellt werden. Wir haben weiterhin verlangt, daß die bisher Operierten, so weit das überhaupt noch möglich ist, von einer interdisziplinär zusammengesetzten Gruppe von Wissenschaftlern innerhalb der folgenden Jahre systematisch untersucht werden Diese Gruppe sollte nach unserer Auffassung aus Psychiatern, Psychoanalytikern, Sexualwissenschaftlern und Verhaltenstherapeuten universitärer Einrichtungen bestehen. Diese Wissenschaftler sollten nicht zu denen gehören, die die Indikationen gestellt und die Operationen durchgeführt haben. Nach unserer öffentlichen Stellungnahme haben wir von einigen Kollegen, zum TEil auch ganz unerwartet, auch Zustimmung erhalten. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die herrschende Medizin eine Körpermedizin ist, das heißt, die Erkrankungen des Menschen werden so betrachtet, als seien sie körperlich verursacht oder jedenfalls prinzipiell körperlich begründbar. In diesem Sinne werden sie dann auch behandelt. [...] Die sogenannte Psychochiurgie, die sich auch "Verhaltenschiurgie" oder "Triebchiurgie" nennt, ist nur eine Variante in dieser Richtung. [...]
- Frage:
- Wie ist die Wissenschaftsauffassung der
Stereotaktiker zu kritisieren? Wir denken hier an mangelnde
Übersicht, Nachkontrolle, zweifelhafte Erfolge, falsche Diagnosen,
mangelnde psychotherapeutische Beratung der "Hilfesuchenden" usw.
- Antwort:
- Wir haben festgestellt, daß die Dokumentation der
bisherigen Operationen äußerst unzulänglich ist. Den
wissenschaftlichen Publikationen der Operateure ist nicht einmal mit
Sicherheit zu entnehmen, wieviele Menschen sie überhaupt operiert
haben. Die Vor- und Nachuntersuchungen sind unter verschiedensten
Aspekten äußertst mangelhaft bis aussagelos. Unerwünschte Wirkungen
der Hirneingriffe sind nachlässig oder überhaupt nicht überprüft
worden. Rückfälle werden vertuscht. Der Anwendungsbereich bzw. die
Indikationsstellung ist - wie gesagt - äußerst fahrlässig bis
fragwürdig.
- Frage:
- Wie könnte man diese Medizinerschule etwa zu einem
politischen Offenbarungseid zwingen, um zu erfahren, in welcher
Tradition diese Schule steht, worauf sie die "Natur" des Menschen
reduziert und iwe sie die Psyche negiert?
- Antwort:
- Einen eklatanten Offenbarungseid haben
US-amerikanische Psychochiurgen bereits geleistet. Sie haben
öffentlich angeregt, "Aufrührer", "Gewalttäter" und "Krawallmacher"
durch hirnoperationen zu "behandeln". Das war schon 1967 auf einem
Höhepunkt der Klassenkämpfe und der Bürgerrechtsbewegung in den
USA. Diese Psychochiurgen vertraten die Auffassung, daß Menschen, die auf diese Weise die gesellschaftlichen Verhältnisse verändern wollen, nach medizinischer Erkenntnis an einer Hirnfunktionsstörung leiden müssen. Im übrigen liegen Berichte darüber vor, daß eindeutig politisch motivierte Deliquenten, beispielsweise Flugzeugentführer, tatsächlich am Hirn operiert worden sind.
- Frage:
- Wie könnte hier in der BRD nach ihrer Meinung eine
Politisierung der medizinischen Praxis gelingen, wie sie etwa in
Frankreich oder Italien gelang?
- Antwort:
- Angesichts der verstärkten Rechtsentwicklung in
der BRD bin ich sehr skeptisch, ob solche Entwicklungen, wie wir sie
in Frankreich und Italien beobachten konnten, auf einige Sicht in der
BRD überhaupt möglich sind. Auf jeden Fall werden die hiesigen
gesellschaftlichen Verhältnisse nicht durch Sexualwissenschaftler
oder Psychotherapeuten humanisiert. Einzelne Wissenschaftler können
nur so progressiv sein, wie die gesellschaftlichen Verhältnisse es
gestatten. Die wirklich verändernde politische Arbeit ist Sache der
sozialen und politischen Bewegung. Ihre Kraft wird auch darüber
entscheiden, ob es in der BRD weiterhin möglich sein wird, mit
seelisch Kranken, Strafgefangenen, Homosexuellen oder Pädophilen so
unmenschlich umzugehen, wie es Psychochiurgen unter unser aller Augen
tun.