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[S. 108:] Wenn das Kind zu einem polizeilichen Verh�r aufgrund eines Sexualkontakts geladen wird, wei� es wohl genau, da� damit nicht eine �ffentliche Belobigung verbunden ist. Es sp�rt sehr deutlich, da� es sich in einen Kontakt einlie�, der von seiner Umwelt scharf verurteilt wird. Seine nat�rliche Reaktion darauf ist Verst�rtheit und Angst, oder es �bernimmt die Meinung seiner Umwelt, um die eingene soziale Integration nicht zu gef�hrden, und sch�mt sich im Nachhinein des sexuellen Kontakts.
Der folgende Dialog ist dem Protokoll eines kriminalpolizielichen Verh�rs entnommen. Ein 13-j�hriger Junge wurde vorgeladen, um etwas zum Schuldvorwurf, der (erwachsenen) Heimerzieher des Jungen habe diesen sexuell mi�braucht, auszusagen.
Frage (des Polizeibeamten): Hat Herr X Dich immer vorher gefragt, wenn Du auf dem Zimmer warst und er Dich anfing, mit den H�nden zu betasten und die Kleidung auszuziehen?
Antwort (des Jungen): Ja, er hat meistens vorher gefragt. Sp�ter war es jedoch selbstverst�ndlich und ich hatte nichts dagegen. Er konnte bei mir voraussetzen, da� ich immer einverstanden war.
Frage: Hat Herr X Dich gebeten, gegen�ber den Sch�lern oder dem Lehrpersonal nichts von der Freundschaft zu erw�hnen?
Antwort: Ich habe dem Herrn X versprochen, kein Wort zu Mitsch�lern oder sonstigen Personen zu sagen. er hat mich daraufhin angesprochen und wir haben es uns gegenseitig gelobt.
Frage: W�rdest Du mit einem anderen Mann �hnliche Handlungen durchf�hren?
Antwort: Nein, Herr X hat mir gefallen und hat mich auf die Idee gebracht, da� man sich gegenseitg aufgeilen kann. Gewichst habe ich schon fr�her, dann aber still und heimlich unter der Bettdecke.
Frage: Hast Du aufgrund des Geheimnisses Dich wohl in Deiner Haut gef�hlt?
Antwort: Nein, ich hatte immer Angst, da� die ganze Sache herauskommen k�nnte.
Frage: Meinst Du, da� ein Ausbilder die Kinder erzieht, wenn er sich mit ihnen auf diese Weise besch�ftigt?
Antwort: Nein, ich halte es auch nicht f�r Erziehung, sondern f�r Sauerei. Mehr m�chte ich nicht sagen.
An dieser Stelle schlie�t das Vernehmungsprotokoll.
Der vernehmende Beamte f�hlte sich in diesem Fall bem��igt, zus�tzlich zum Tatgeschehen noch die moralische Frage aufzuwerfen zu m�ssen. Dadurch geriet der Junge in den Zwang, ein Geschehen, das er zuvor als durchaus positiv erlebt geschildert hatte, am Ende als "Sauerei" zu verwerfen. Da� er danach zu keiner �u�erung mehr zu bewegen war, zeigt wohl die Verlegenheit und das unangenehme Ber�hrtsein, einen Liebeskontakt rechtfertigen zu m�ssen, wo keinerlei Rechtfertigung erw�nscht war.
Die Reaktionen seiner Umgebung (moralisierende Etern, Verwandte, Lehrer, Polizei) geben dem Kind als Zeugen in einem Strafverfahren das Gef�hl, in hohem Ma� "mitschuldig" zu sein. Es leidet besonders dann unter erheblichen Schuldgef�hlen, wenn es offensichtlich Freude am sexuellen Kontakt hatte. Es vermag nicht zu verstehen, da� ein im eigenen Erleben h�chst positives Ereignis zum Mittelpunkt eines Verfahrens wird, in dem es nur um Schuld und Strafe geht. Diese Haltung seiner Umgebung, die ausschlie�lich negative Einsch�tzung von Werten, die ihm ansonsten positiv vermittelt werden (Zuneigung, Z�rtlichkeit, Vertrauen), kann hier eine wirkliche Bedrohung f�r das Kind darstellen. Es erlebt zudem, da� sein intimes Verh�ltnis zu einem anderen Menschen zu einem �ffentlichen Akt der Inquisition wird.
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[S.111:] Acht von zehn Elternpaaren strafen ihr Kind, wenn sie es beim Doktor-Spielen ertappen. Dadurch lernt das Kind, da� Sexualit�t etwas Schmutziges, ja B�ses sei. Oder aber sie �bergehen die kindliche Neugier mit Schweigen oder Ablenkung. Besonders verheerend sind schlie�lich die elterlichen Strategien gegen die Selbstbefriedigung, die den jungen Menschen ausgerechnet in einer seiner konflikttr�chtigsten Lebensphase, der Pubert�t, vor schwer l�sbare Probleme stellen.