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Der "Ausweich-Effekt"

Betrachtet man die Anzahl der Arbeiten, die zu bestimmten Teilgebieten des sexuellen Missbrauchs publiziert werden, gibt es interessante Unterschiede:

Dies kann jeder leicht nachvollziehen, indem er in Datenbanken wie Medline oder Psychlit nach den entsprechenden Schl�sselworten sucht. Die konkreten Zahlen �ndern sich st�ndig, daher habe ich sie hier nicht angegeben. Es handelt sich jedoch um Gr��enordnungsunterschiede: Arbeiten zu einvernehmlichen Kontakten und zu verbalem Missbrauch kann man fast an den Fingern einer Hand abz�hlen, w�hrend viele Hunderte Arbeiten den sexuellen Missbrauch von M�dchen behandeln. Studien �ber Jungen und k�rperliche Misshandlung liegen gr��enordnungsm��ig dazwischen.

Warum ist dies so? Es gibt ein einfaches gemeinsames Schema f�r alle diese seltsamen H�ufigkeiten: Je weniger die Resultate der �ffentlichen Missbrauchs-Hysterie entsprechen, desto seltener werden sie publiziert. In der Tat, wenn wir die vorhandenen Daten betrachten (wir folgen dabei im wesentlichen den Resultaten der Meta-Analyse von Rind et al. 1998) ergibt sich folgendes Bild:

Plausible Gr�nde gibt es mehrere: die Journale vermeiden es, solche Arbeiten zu publizieren, die Wissenschaftler (die durchaus wissen, welche Resultate zu erwarten sind) forschen lieber gleich auf anderen Gebieten. Beides aus Angst vor Hetze, wie man sie z.B. bei Enders nachlesen kann. Als Bezeichnung daf�r schlage ich "Ausweich-Effekt" vor.

Welche alternativen Erkl�rungen gibt es?

Eine weitere Erkl�rung mag der Schubladen-Effekt sein: eine statistische Arbeit, die eine signifikante Abh�ngigkeit nachweist, wird eher publiziert als eine, die keine Ah�ngigkeit nachweist. Also werden Arbeiten, die keinen Zusammenhang zwischen sexuellem Missbrauch und Folgesch�den nachweisen, seltener produziert.

Aber dies erkl�rt kaum das Gesamtbild. Insbesondere erkl�rt es nicht die Nichtbeachtung von physischer und verbaler Misshandlung - denn f�r diese lassen sich sehr wohl statistisch signifikante Effekte nachweisen. Die wenigen Arbeiten, die verbale, emotionale bzw. psychologische Misshandlung mitbetrachten, erhalten sogar st�rkere Abh�ngigkeiten von dieser Art der Misshandlung. Auch die geringere Beachtung emotionaler Misshandlung im Vergleich zur k�rperlichen Misshandlung weist in dieselbe Richtung: w�hrend k�rperliche Misshandlung zwar im Vergleich zu sexuellen Handlungen als Kavaliersdelikt betrachtet wird und noch nicht einmal richtig verboten ist, wird es immerhin schon moralisch verurteilt. Psychologische Misshandlung wird weitaus weniger beachtet. Die heutige "gewaltfreie" Erziehung ist im wesentlichen eine ohne k�rperliche Gewalt, in der oft genug lediglich k�rperliche Misshandlungen durch verbale ersetzt wurden. Auch hier wird also weniger publiziert was weniger in die allgemeine Meinung passt.

Eine weitere Erkl�rung w�re, dass Wissenschaftler aufgrund eigener Vorurteile �ber die Wichtigkeit sexuellen Missbrauchs andere Missbrauchsformen seltener betrachten, weil sie sie f�r weniger gef�hrlich halten. Dies widerspricht allerdings der weit verbreiteten (und auch von mir geteilten) Vermutung, missbrauchte Jungen w�rden genauso schwerwiegend gesch�digt wie M�dchen. Der wesentliche Unterschied zwischen Jungen und M�dchen besteht nicht in der Schwere der Sch�den bei einer Vergewaltigung, sondern darin, dass freiwilliger, unsch�dlicher Sex bei Jungen einen viel gr��eren Anteil an allen sexuellen Kontakten haben.

Man k�nnte eine Kombination beider Erkl�rungen betrachten: die Vern�chl�ssigung von Jungen und einvernehmlichen Kontakten erkl�rt der Schubladeneffekt, w�hrend die Vorurteile der Wissenschaftler die Vernachl�ssigung anderer Missbrauchsformen erkl�rt. Die Tatsache, dass aus dem politischen Druck auf die Wissenschaft neuerdings in Amerika nicht einmal mehr ein Geheimnis gemacht wird, bewegt mich jedoch, die Hypothese "politische Zensur" vorzuziehen.

Bemerkenswert ist jedoch auch, dass alle drei Erkl�rungen beim eigentlichen politischen Tabu - der Vermutung, einvernehmliche Kontakte seien unsch�dlich - kompatibel sind: ob es so wenig Untersuchungen zu einvernehmlichen Kontakten gibt, weil die Wissenschaftler ihre Ergebnisse wegen Zensur nicht publizieren k�nnen, oder weil sie - wegen fehlender Korrelationen - in den Schubladen landen, oder weil die Wissenschaftler davon ausgehen, sie seien harmlos, bleibt sich gleich - dem allgemeinen Vorurteil, es sei wissenschaftlich erwiesen, dass sie schaedlich seien, entsprechen alle drei Erkl�rungen nicht.