Die Transmissionstheorie behauptet, daß sexueller Mißbrauch von Jungen in ihrer Kindheit dazu führen kann, daß sie als Erwachsene ihrerseits zu "Tätern" werden und Kinder sexuell mißbrauchen. Dies wird mit Statistiken begründet, die zeigen, daß Erwachsene, die als Kinder mißbraucht wurden, ihre eigenen Kinder mit höherer Wahrscheinlichkeit ebenfalls mißbrauchen.
Diese Theorie ist sehr populär, allerdings weniger in der Wissenschaft als in den Medien. Sie wird oft als einzige Ursache für sexuellen Mißbrauch dargestellt und insbesondere auch zur Erklärung von Pädophilie herangezogen. Eine ebensogroße Rolle spielt sie bei der allgemeinen Diskussion der negativen Folgen sexuellen Mißbrauchs.
Nach Lübke-Westermann, 1995 ist diese These jedoch eher als Spezialisierung der allgemeineren These "Gewalt bringt Gewalt hervor" zu verstehen und hat somit mit den Ursachen gewaltfreier Pädophilie nichts zu tun.
Als alleinige Erklärung von Mißbrauch ist sie auch eindeutig falsch. "Nach den retrospektiven Studien wurden 8 - 26% der Delinquenten als Kinder mißbraucht oder vernachlässigt. Dies bedeutet insgesamt: von denen, die mißbraucht wurden, wurde die Mehrzahl nicht delinquent, und von den Delinquenten war die Mehrzahl als Kinder nicht mißbraucht worden" ( ebenda).
Das heißt allerdings nicht, daß hier nicht wirklich Zusammenhänge bestehen können. Das sexuelle Gewalterlebnisse in der Kindheit zu einer niedrigeren Hemmschwelle bei eigener Gewaltanwendung als Erwachsener führen kann, bzw. daß einfach gewisse Verhaltensstereotypen gelernt werden, klingt zumindest plausibel. "Als Kind mißbraucht zu sein, kann das Risiko erhöhen, die eigenen Kinder zu mißbrauchen, delinquent oder gewalttätig zu werden.
Diese Beziehung ist jedoch weder geradlinig noch sicher" (ebenda). Wie auch bei anderen Folgeschäden sexuellen Mißbrauchs ist auch hier die Überbetonung des sexuellen Mißbrauch gegenüber anderen negativen Kindheitseinflüssen nicht gerechtfertigt. Nach McCord (1983) kam es in 20% der Fälle von Kindesmißbrauch und Vernachlässigung später zur Deliquenz, demgegenüber stand eine Rate von 50% Delinquenz bei abgelehnten Kindern (ebenda).