Als Grund für die Ablehnung wird hier - im Anschluß an einen Vortrag von Sandor Ferenczi aus dem Jahre 1932 - die sich in einer "Sprachverwirrung" zwischen Erwachsenem und Kind niederschlagende "Disparität der Wünsche" (Dannecker, 1987) bzw. "strukturelle Inkompatibilität kindlicher und erwachsener Sexualität" (Gast, 1993) angeführt. Die zentrale Differenz zwischen Erwachsenem und Kind besteht hier nicht in unterschiedlichen Machtressourcen oder Interaktionskompetenzen, sondern in der "Ungleichzeitigkeit" bei der Entwicklung ihrer Sexualorganisation.
Die betreffenden Erwachsenen "verwechseln die Spielereien der Kinder mit den Wünschen einer sexuell reifen Person ..." (Ferenczi, 1964, S. 518, siehe dazu Schetsche, 1994).
Als erstes ist zu bemerken, daß eine Disparität der Wünsche die Befriedigung beider keineswegs ausschließt.
Zweitens ist eine erfolgreiche, beiderseitige Befriedigung durch sexuelle Handlungen, die hier für pädosexuelle Kontakte verneint wird, zwar wünschenswert ist, ihre Abwesenheit aber noch keine - weder ethische noch strafrechtliche - Verurteilung rechtfertigt.
Drittens stellt dies keinen qualitativen Unterschied zu anderen Sexualitäten dar. Eine Disparität der Wünsche und ein reichhaltiges Potential für Sprachverwirrung gibt es auch zwischen Mann und Frau. Dies bemerken auch die Vertreter dieses Arguments selbst:
"Gemessen an der Wirklichkeit anderer Sexualitäten sind das jedoch nur quantitative Differenzen. Auch in der Ehe wird das sexuelle Selbstbestimmungsrecht der Frau nicht selten in rüder Weise verletzt. Ebenso wird auch innerhalb unverdächtiger sexueller Begebenheiten die Reziprozität der sexuellen Bedürfnisbefriedigung oft nicht erreicht, mitunter von einem Partner nicht einmal intendiert." (Dannecker 1987, S. 88)
Hieraus ergibt sich klar, daß dies nicht als Argument für eine Strafverfolgung verwendet werden kann:
"Das Strafrecht dürfte aber kaum das geeignete Instrument sein, um Idealforderungen dieser Art durchzusetzen. Die unqualifizierte Pönalisierung der Pädosexualität ist gleichfalls ein ungeeignetes Instrument zur Verbesserung des Binnenklimas in pädosexuellen Begegnungen oder Beziehungen." (Dannecker 1987, S. 88-89; entspr. Schorsch, 1989, S. 146)
Schetsche (1994, p.210) weißt außerdem noch darauf hin, daß Ferenczis Untersuchung sich explizit auf inzestuöse Verführungen bezieht. Die psychosexuelle Situation insbesondere älterer Kinder zu Fremden stellt sich deutlich anders dar.
Weiterhin muß auch auf die Unterschiede zwischen den sexuellen Bedürfnissen Heterosexueller und Pädophiler hingewiesen werden, so daß die Ergebnisse von Ferenczi für typisch pädophile Verhältnisse kaum relevant sind.
Viertens wirft insbesondere diese Argumentation die Frage auf, wo den das Kind die "Sprache der Leidenschaft" lernen soll. Es wird wohl angenommen, daß dies kein Lernprozeß ist, sondern sich quasi automatisch mit der Pubertät herausbildet - eine zumindest sehr zweifelhafte These. (siehe hierzu Schetsche 1994)