Die Bestimmungen zum Schutz von Kindern im sexuellen Bereich sind - historisch wie aktuell - dadurch charakterisiert, da� Fragen der sexuellen Selbstbestimmung der Betroffenen als 'unbeachtlich' aus dem juristischen Verfahren ausgeklammert werden. Um dieses Konstruktionsprinzip zu verstehen, mu� man sich den historischen Proze� der Herausbildung dieses speziellen Tatbestandes einmal etwas genauer anschauen.
Im Strafrecht der deutschsprachigen L�nder hat es bis ins 19. Jahrhundert hinein keinerlei Bestimmungen gegeben, die sich dem Schutz von Kindern beiderlei Geschlechts vor sexuellen �bergriffen widmeten. Vor dem Ende des 16 Jahrhunderts finden sich nicht einmal eigenst�ndige Vorschriften gegen Sexualkontakte Erwachsener mit Kindern.
"Die mittelalterlichen Strafrechtsquellen haben die an Kindern ver�bte Unzucht nicht unter eine besondere Strafe gestellt. Auch die gemeinrechtlichen Theorien sehen teilweise in den geschlechtlichen Angriffen auf Kinder kein besonderes Verbrechen." (Aaron, 1910, S.1)
[...] Strafbar waren die anale Penetration von Jungen und von M�nnern als Sodomie; zu den "unbescholtenen Frauenspersonen", die gegen Notzucht gesch�tzt waren, geh�rten auch die noch nicht geschlechtsreifen M�dchen; die Bestimmungen zur sog. Blutschande verboten viele Arten intrafamilialer Kontakte. Gesonderte Tatbest�nde zum Schutz von Kindern vor sexuellen �bergriffen wurden dagegen erst im Verlaufe der letzten vier Jahrhunderte geschaffen; dabei lassen sich f�nf Entwicklungsstufen unterscheiden:
Erstens wurde f�r die "nicht mannbaren M�dchen" die Strafe f�r Notzuchtdelikte erh�ht [...]
Zweitens koppelte man die "Mannbarkeit" - wohl aus praktischen Gr�nden - von der Frage der individuellen Geschlechtsreife ab: Aufgrund eines Durchschnittswerts wurde eine explizite Zahl von Lebensjahren als Grenze festgelegt.
Drittens - und f�r unseren Zusammenhang entscheident - wurde bei M�dchen unterhalb dieser nun abstrakt bestimmten Altersgrenze die Irrelevanz ihrer Zustimmung zum Beischlaf festgestellt. [...] Erst jetzt schrieb man das Kind als Person fest, dessen Wille auf sexuellem Gebiet rechtlich unbeachtlich zu sein hatte. [...]
Viertens erfolgte - erst im 19. Jahrhundert - die Herausbildung einheitlicher Tatbest�nde bez�glich Jungen und M�dchen.
F�nftens wurde schlie�lich von der Notwendigkeit der Penetration abgesehen.[...]