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Differenzierung der Sexualstraftaten

Eine genauere und den Ergebnissen der Sexualforschung angepasstere Differenzierung verschiedener Sexualstraftaten ist ein dringendes Erfordernis. Nach dem jetzigen Par. 176 werden Handlungen verurteilt, die sowohl nach ethischen Gesichtspunkten, nach zu erwartenden Folgen und nach kriminologischen Gesichtspunkten v�llig verschieden sind. Daraus ergibt sich folgende Forderung:

Verschiedene Paragraphen f�r sexuelle Gewalt und freiwillige Beziehungen

Unterschieden werden mu� vor allem die Qualit�t der Beziehungen, vor allem zwischen unerw�nschten und freiwilligen Kontakten. Besser w�re eine noch feinere Unterteilung:

Diese Gruppen von Taten unterscheiden sich wesentlich in folgenden Punkten:

Au�erdem sind sie relativ leicht unterscheidbar. Auch wenn es bez�glich der Forderung P�dophiler nach Straffreiheit der freiwilligen Kontakte sehr kontroverse Diskussionen gibt, sollte die Forderung nach verschiedenen Straftatbest�nden f�r die verschiedenen Gruppen doch konsensf�hig sein.

Kritik des augenblicklichen Zustands

Im Prinzip ist die geforderte Unterscheidung bereits vorhanden, es gibt die auch f�r Erwachsene geltenden Vergewaltigungs- und N�tigungsparagraphen, den Inzestparagraphen 174 und den Mi�brauchs-Paragraph 176. Die Praxis sieht jedoch so aus, da� sowohl Vergewaltigung- und N�tigungsdelikte gegen Kinder als auch Inzestf�lle oft nach Paragraph 176 verurteilt werden, da dies aufgrund der hohen Strafandrohung und der geringen Beweislast f�r die Anklage das Leichteste ist.

Betrachtet man die jetzigen Paragraphen, so sieht man, da� die Differenzierung oft in die falsche Richtung geht. So ist z.B. der Vergewaltigungsparagraph auf Koitus beschr�nkt, w�hrend der 176 alle sexuellen Handlungen bestraft, obwohl auch harmlosere sexuelle Handlungen, die freiwillig sicher nicht gef�hrlich sind, bei Anwendung von Gewalt traumatisierend sein werden (unabh�ngig davon, wie man "harmlose" sexuelle Handlungen definiert).

Auch enthalten die Paragraphen f�r Erwachsene keinen besonderen Schutz f�r Kinder, d.h., sie sind von vornherein f�r Erwachsene ausgelegt, w�hrend der Schutz von Kindern vor Vergewaltigung dem Paragraph 176 �berlassen wird.

Absch�tzung der Folgen f�r das Kind

Die These, da� erw�nschte sexuelle Kontakte an sich keine Folgesch�den verursachen, entspricht zwar den vorliegenden wissenschaftlichen Ergebnissen, wird jedoch von der �ffentlichen Meinung nicht geteilt. Trotzdem ist eines unzweifelhaft:

Die Untersuchungen zu Folgen sexuellen Mi�brauchs, die den Einflu� der Gewalt einbezogen haben, zeigen �bereinstimmend h�here Sch�den bei Gewaltkontakten.

Genau entgegengesetzt verh�lt es sich mit der Belastung und m�glichen Sch�den beim Kind durch die Strafverfolgung selbst. Eine Aussage gegen einen Freund, die diesen ins Gef�ngnis bringt, ist sicherlich eine schwerere seelische Belastung als eine Aussage gegen einen verha�ten Gewaltt�ter.

Absch�tzung des subjektiven Erlebnisses des Kindes

Eine sexuelle Gewalthandlung oder N�tigung ist f�r jeden Menschen ein zumindest unangenehmes Erlebnis, ein erw�nschter sexueller Kontakt nicht. Unabh�ngig von m�glichen Langzeitfolgen sind die direkt erlebten Gef�hle somit eindeutig v�llig verschieden.

Ethisch-moralische Bewertung der Tat und ihrer Motive

Bei der Festlegung des Strafma�es f�r eine Tat ist es auch wichtig, unabh�ngig von den Folgen der Tat, die Motive des T�ters zu werten. In der Tat, bei der T�tung eines Menschen werden sehr verschiedene Straftatbest�nde unterschieden: Mord, Totschlag, Totschlag im Affekt, K�rperverletzung mit Todesfolge, fahrl�ssige T�tung, Unfall, Notwehr. Das Opfer ist in jedem Falle tot, trotzdem variiert die Strafe von der maximalen Strafe f�r Mord bis zur Straffreiheit bei Notwehr.

Eine �hnliche Unterscheidung ist auch bei p�dosexuellen Kontakten notwendig. In der Tat ist die ethisch-moralische Bewertung eines Liebesverh�ltnisses mit sexuellen Elementen und einer Vergewaltigung sehr verschieden, selbst wenn man auch die ersten moralisch verurteilt (was man ja bei fahrl�ssiger T�tung auch tut).

In der Tat, der P�dophile verst��t lediglich gegen eine Altersgrenze, ansonsten w�re seine Beziehung v�llig korrekt, w�hrend eine Vergewaltigung auch eines Erwachsenen eine schwere Straftat ist. Beim heutigen Stand der Wissenschaft bez�glich m�glicher Sch�den aus p�dosexuellen Kontakten kann man dem P�dophilen nicht einmal ein fahrl�ssiges Inkaufnehmen von Sch�den beim Kind unterstellen - in der Tat, Untersuchungen, die Folgen freiwilliger Kontakte separat untersuchten (wie Sandfort 1994), haben keine solchen Sch�den nachgewiesen.

Es ist auch ein entscheidender ethischer Unterschied, dass bei erw�nschten Kontakten das Selbstbestimmungsrecht des Kindes nicht verletzt wurde, unabh�ngig davon, ob dem Kind dieses Recht zugebilligt wird oder nicht.

Gerechtigkeit bedeutet, da� �hnliche F�lle �hnlich behandelt werden und verschiedene F�lle unterschiedlich. Es ist nicht nur eine Frage des Strafma�es, sondern es verletzt auch die menschliche W�rde eines T�ters (und somit Artikel 1 GG), wenn er mit einer ganz anders gearteten T�tergruppe zusammen nach ein und demselben Paragraphen verurteilt wird.

Die Verurteilung von Vergewaltigern und gewaltfreien P�dophilen in ein und demselben Paragraphen wird von den P�dophilen als besonders entw�rdigende Schikane empfunden. F�r einen Rechtsstaat - im Gegensatz zu einem auf Terror und Abschreckung basierenden Staat - ist dies kontraproduktiv. Letztendlich soll Strafrecht in einem Rechtsstaat ja auch erzieherisch wirken und beim T�ter ein Unrechtsbewu�tsein entwickeln. Dies ist aber nicht m�glich, wenn die Strafandrohung als v�llig unverh�ltnism��ige Terrorma�nahme erscheint.

Begr�ndung einer Differenzierung anhand von empirischen Beobachtungen

Nicht nur f�r die abstrakte Gerechtigkeit ist es somit wichtig, �hnlich gelagerte F�lle unter demselben Paragraphen einzuordnen und deutlich verschiedene Fallkonstellationen unter verschiedenen Paragraphen zu behandeln. Dies erleichtert auch die Arbeit der Polizei, wenn sie z.B. "einschl�gig vorbestrafte" Personen verd�chtigt.

Gewaltfreie P�dophile werden normalerweise nicht zu Gewaltt�tern. Die Untersuchung vorbestrafter P�dophiler nach Gewaltverbrechen an Kindern ist somit meist eine unsinnige Verschwendung von Ressourcen, bei der au�erdem noch Unschuldige schikaniert werden.

Bei einer Differenzierung nach empirischen Clusteranalysen ergibt sich auch einer h�here Rechtssicherheit, weil die Wahrscheinlichkeit der richtigen Einordnung einer Tat nach Paragraphen, die typischen Fallkonstellationen entsprechen, h�her ist.

Die Ergebnisse der Clusteranalyse von Baurmann 1983 passen gut zu einer Unterteilung nach freiwilligen und unerw�nschten Kontakten.

M�glichkeiten der Gestaltung

Unterschiedliche Straftatbest�nde erm�glichen unterschiedliche Spezifizierung der Strafma�e, der Altersgrenzen, der p�nalisierten sexuellen Handlungen, der Anklagemechanismen (Offizialdelikt oder nicht) sowie von Proze�details.

Unterschiedliche Strafandrohung

Wichtig ist, da� es f�r die verschiedenen Tatbest�nde deutlich unterschiedliche Minimal- und Maximalstrafandrohungen gibt.

Dies ist nicht nur f�r das Gerechtigkeitsempfinden wichtig, sondern auch als Mittel der Abschreckung. Um Kinder durch Abschreckung zu sch�tzen, ist es das Sinnvollste, die Handlungen, die das Kind st�rker gef�hrden, mit st�rkerer Abschreckung zu versehen.

Unterschiedliche Sexpraktiken

Ich halte es f�r nat�rlich, bei den verschiedenen Paragraphen auch nach Art der zu bestrafenden sexuellen Handlungen zu unterscheiden. Es sollte somit Bereiche geben, in denen freiwillige Kontakte legal sind, aber sexuelle Gewalt strafbar. Eine Differenzierung dieser Art erlaubt es z.B., Kinder auch vor unerw�nschten "Z�rtlichkeiten" zu sch�tzen, die, solange sie freiwillig sind, niemand einschr�nken will.

Unsichere Sexpraktiken

Angesichts der AIDS-Gefahr und zur Verhinderung fr�her Schwangerschaften ist insbesondere eine Differenzierung zwischen gesch�tzten und unsicheren Sexpraktiken sinnvoll. Eine eindeutig geringere Strafandrohung bei ausschlie�lich sicheren Sexpraktiken wird sicherlich dazu f�hren, da� in h�herem Ma�e als bisher sichere Techniken verwendet werden.

Unterschiedliche Altersgrenzen

Gleichzeitig kann auch nach Alter differenziert werden. Sexuelle Gewalt und N�tigung sind f�r jedes Alter illegal, bei Prostitution und Inzest ist sicherlich eine h�here Altersgrenze sinnvoll als f�r sonstige Kontakte.

Argumente gegen eine Differenzierung

Komplexit�t

Ein Argument gegen eine Differenzierung ist es, die Anzahl der Paragraphen geringer zu halten - weniger Paragraphen bedeuten letztendlich eine einfachere Gesetzgebung. Hier w�re entgegenzusetzen, da� die Differenzierung nicht notwendigerweise mit mehr Paragrahen verbunden sein mu�. Die Vergewaltigungs- bzw. N�tigungsparagraphen k�nnten als Unterpunkte in den generellen Vergewaltigungs- bzw. N�tigungsparagraphen eingebunden werden (geringes Alter des Opfers als erschwerender Umstand).

zus�tzliche Belastung der Rechtspflege

Die Unterscheidung nach Freiwilligkeit und Gewalt erh�he angeblich den schon jetzt zu gro�en Aufwand der Gerichte. Zus�tzliche Gutachten usw. usf., Au�erdem verschlechtere dies die Situation des vergewaltigten Kindes im Proze�. Es m��te jetzt nicht nur beweisen, da� Sex stattgefunden hat, sondern auch, da� es dies nicht gewollt habe.

Das erste Argument halte ich - bei Betrachtung der vom Paragraph 176 angedrohten Haftstrafen - f�r menschenverachtend und eines Rechtsstaats unw�rdig. Bei der T�tung eines Menschen - bei der das Opfer ja gar nichts mehr aussagen kann und die Beweislage somit eindeutig schlechter ist - macht man sich diese zus�tzliche M�he schlie�lich auch.

Durch klare und einfache Regeln - wie der, da� der Aussage des Kindes, ob es wollte oder nicht, erst einmal zu glauben ist, und im Zweifelsfalle der T�ter die Beweislast hat, kann eine zus�tzliche Belastung kindlicher Opfer sicherlich vermieden werden.

Begr�ndung einer Differenzierung der Abschreckung

Die Abschreckung durch Strafandrohung hat nat�rlich einen Effekt auf Personen, die die entsprechenden Taten begehen wollen, jedoch nicht immer den erwarteten. Eine h�here Strafandrohung kann dazu f�hren, da� schlimmere Straftaten begangen werden als vorher. So h�tte z.B. Todesstrafe f�r Vergewaltigung sicherlich die Folge, da� die Opfer der Vergewaltigung nach der Tat mit sehr viel h�herer Wahrscheinlichkeit get�tet werden w�rden.

In diesem Zusammenhang ist es wichtig, da� die Strafandrohung im Verh�ltnis zur Gef�hrlichkeit der Tat steht. Hieraus folgt, da� es nicht sinnvoll ist, Taten von deutlich verschiedener Gef�hrlichkeit in einem Tatbestand zusammenzufassen.