Linda Burton, die aus methodischen Überlegungen heraus, den Aussagewert ihrer retrospektiven Studie sehr vorsichtig bewertet sehen will, gibt sich im Vergleich zu vielen anderen Autoren außerordentlich bescheiden. Zur Bescheidenheit besteht für sie jedoch nur ein Anlaß, wenn man ihre Untersuchung an den heutigen methodischen Möglichkeiten und Idealforderungen mißt. Wenn man ihre Arbeit jedoch vergleicht mit den vielen Veröffentlichungen und Aussagen, die es über Ausmaß und Ursachen von Schäden bei strafberen Sexualkontakten von anderen Autoren gibt, dann muß man sagen, daß sie - bereits 1964 - eine hervorragende Dissertation vorlegte. Leider wurde diese nordirische Studie bisher bei viktimologischen und Strafrechtsreformdiskussionen zu wenig bzw. gar nicht berücksichtigt.
Burton hatte in einer Panel-Studie 41 Opfer (35 weiblich, 6 männlich) von abgeruteilten bzw. deklarierten Sexualkontakten einmal zwischen 1961 und 1963 und zum anderen zwischen 1962 und 1964 untersucht.
Zwischen den beiden psychodiagnostischen Untersuchungen an den kindlichen deklarierten Opfern lag jeweils ein Jahr. Damit versuchte Burton, die Langzeitwirkung des Delikts auf das deklarierte Opfer in den Griff zu bekommen. Weiterhin verglich die Autorin die Opfer-Gruppe mit einer Kontrollgruppe, die nach mehreren Kriterien analog ausgesucht wurde.
Schließlich verglich sie noch die Gruppe der deklarierten Sexualopfer mit zwei anderen Gruppen geschädigter Kinder, nämlich mit Verkehrsopfern und Asthmatikern. Burton interviewte die deklarierten Sexualopfer mit einem Fragebogen, der 57 Fragen mit offenen Antworten enthielt, sie ließ das Sozialverhalten der Probanden in der Schule beurteilen und führte jeweils drei psychodiagnostische Tests durch: The Bristol Social Adjustement Guide, den TAT und The Parent Attitude Research Instrument.
Die Sexualkontakte, die die von ihr untersuchten Kinder erlebt hatten, entsprechend in der Verteilung etwa den verurteilten Handlungen aus anderen, vergleichbaren Arbeiten:
Tabelle 8: Art des Sexualkontakts (bei Burton) Anzahl ------------------------------------------------------------ versuchte oder vollendete Vergewaltigung 2 unsittlicher Angriff 11 Anleitung zur Masturbation 2 Entkleiden des Kindes 2 homosexueller Kontakt 6 unsittliche Berührung 19
Die wesentlichen Schlüsse, die Burton in behutsamer Weise aus ihrer Untersuchung schloß, sollen weiter unten zu Vergelichszwecken herangezogen werden.
Festzuhalten ist, daß hier eine Wissenschaftlerin schon vor etwa 20 Jahren differenzierte Methoden zur angemessenen Lösung eines drängenden viktimologischen Problems einsetzte. Neuere Versuche zur Beantwortung der Frage, ob, in welchem Ausmaß und wodurch deklarierte Sexualopfer geschädigt werden, sollten sich methodologisch an einer solchen Arbeit messen.
Burton faßt die Ergebnisse der Follow-up-Studie folgendermaßen zusammen. Wie bei Rasmussen und Bender/Grugett werden Sexualstörungen weitgehend als Begleiterscheinungen einer vorher schon gestörten Sozialisation des Kindes gesehen. Diese gestörte Sozialisation läuft auch nach dem Delikt in vielen Fällen weiter bzw. die Störung nimmt manchmal sogar noch zu. Die meisten der von Burton untersuchten Kinder zeigten keine Schäden und wirkten bei den Untersuchungen sozial integriert. Die wenigen geschädigten deklarierten Sexualopfer wirkten ganz allgemein im sozialen Bereich desintegriert.
Burton kommt weiterhin zum Ergebnis, daß strafbare Sexualkontakte zwischen Kindern und Erwachsenen keine speziellen nachteiligen Folgen für die weitere Persönlichkeitsentwicklung des Kindes haben. Häufig seien die deklarierten Sexualopfer in solche Sexualkontakte hineingeraten, weil sie auf der Suche nach emotionaler Wärme waren. Hier sei nun auch die besondere Aufgabe der Eltern und der sonstigen näheren sozialen Umwelt des kindlichen Sexualopfers: Durch positive(re) emotionale Zuwendung könnten die negativen Auswirkungen strafbarer Sexualkontakte auf das Kind weitgehend verhindert werden.