F�r uns Deutsche, die wir aufgrund unseres Geburtsdatums pers�nlich an den NS-Greueln meist unschuldig sind und dennoch lebenslang deshalb unter nationaler Scham leiden und Trauerarbeit leisten, weil fr�here Generationen Minderheiten gequ�lt und ermordet haben, ist es zutiefst verst�rend, feststellen zu m�ssen, da� es manchmal sogar Juden sind, die sich sexuellen Minderheiten gegen�ber verhalten, als handle es sich um Feinde des gesamten Menschengeschlechts. [...] So hat es mich besonders ersch�ttert, daS der wesentlichste Aspekt der total negativen Kritik von Sandforts Arbeit in der Rezension des j�dischen Autors David A Mrazek in dem Vorwurf besteht, hier wolle eine organisierte Gruppe von Interessierten in "politischer" Weise Einflu� auf die Gesetzgebung nehmen. Die Anf�hrungszeichen stehen deshalb, weil Mrazek offenbar meint, da� der Versuch Betroffener, sich durch Aufkl�rung der �ffentlichkeit selbst zu entkriminalisieren, in sich verwerflich sei. Die h�ufig wiederholte Beteuerung, Sandforts Studie sei vor allem "politisch", suggeriert zudem die Vorstellung, deren wissenschaftliche Qualit�t sei eben deshalb zweifelhaft ("this is more of a political text than a scientific one. It is politically conceived, and its conclusions are directed toward change in legislation".) Wenn Minderheiten das Recht abgesprochen wird, sich politisch zu �u�ern, wenn der Wunsch dazu schon als verd�chtig gilt, m�ssen gebrannte Kinder wie wir Deutsche uns wundern: Sollen denn blo� Mehrheiten sich zu Rechten �u�ern d�rfen, die sie sich ohnehin nicht streitig machen lassen?
Mrazeks Rezension zeugt von tiefer emotionaler Abscheu gegen das Untersuchungsthema als solches, das Buch sei "provokativ, verst�rend, paradox, voll methodologischer Irrt�mer, kurzum emp�rend (outrageous)". Die Kinder, so Mrazek, wissen nicht, was gut f�r sie ist; eine Gruppe elfj�hriger Jungen, die man mit Alkohol, Marihuana, Kokain und Heroin vollgepumpt hat, w�rde auch sagen, solche Experimente machten mehr Spa� als Hausaufgaben oder h�usliche Pflichten ... Ganz abgesehen davon, da� Drogen gesundheitssch�dlich sind, die "Sch�dlichkeit" von Sexualit�t aber nicht erwiesen ist bzw. in Sandforts Arbeit ja gerade untersucht werden soll, handelt es sich hier schlicht um Rabulistik, nicht um wissenschaftliche Kritik.
Es wird vielmehr jenes bekannte konservativ-orthodoxe Klischee der "normalen" Sexualit�t bem�ht, das in der Vergangenheit schon genug menschliches Leid bereitet hat. Wir lesen: "There is no discussion of the possibility that the illegal sexual contacts might result in the boy's developing a sexual deviation from a more normal heterosexual orientation." Was w�re dann "a less normal orientation"? Zweifellos Homosexualit�t; hier werden (wie so h�ufig in Schriften, die sich gegen die Diskussion von Sexualit�t von Kindern wenden) all jene unheilvollen Vorurteile gegen Homosexualit�t reaktiviert, die schon zu fr�heren Zeiten entsetzliches Unheil gestiftet haben und die nun wirklich mittlerweile (nicht zuletzt durch Arbeiten amerikanischer Wissenschaftler) �berzeugend widerlegt worden sind. Ich f�rchte die Logik der Ausgrenzung, die hier betrieben wird.
[aus dem Vorwort zu Sandfort 1986, S. 10-11]