Der Speijer-Report äußerte sich kritisch zu den immer wieder postulierten negativen Folgen von gewaltlosen Sexualkontakten mit Kindern und Jugendlichen: "Seit man erkannt hat, daß das Kind nicht so asexuell ist, wie man früher angenommen hat, wächst die Ansicht, daß die Gefahren aus sexuellen Handlungen vielfach überschätzt worden sind. Bereits bei jungen Kindern kommen vielfältige sexuelle Handlungen vor, und bis zum 16. Lebensjahr haben bereits viele Menschen sexuelle Erfahrungen.
Es ist im allgemeinen nicht anzunehmen, daß sexuelle Handlungen Erwachsener, an denen Jugendliche über 16 Jahren teilnehmen freiwillig teilnehmen, ein psychisches Trauma von Bedeutung bilden können, schon gar nicht in einer Kultur, in der freier und offenherziger als früher über sexuelle Themen gesprochen wird." (S. 41)
Sehr ausführlich betonen die Autoren, daß die Verhinderung sexueller Verführungssituationen mithilfe des Strafgesetzes die sexuelle Sozialisation in einer nicht verantwortbaren Weise erschwert: "Hier sei vorangestellt, daß eine Gesellschaft, die alle Verführungssituationen so viel wie möglich zu beseitigen versucht, sicherlich nicht die geistige Volksgesundheit fördert. Es ist im Gegenteil für Jugendliche beiderlei Geschlechts wünschenswert, daß sie solche Situationen kennenlernen. Für eine normale Entwicklung ist eine breite Möglichkeit von Erfahrung, Experiment, Kontakt und Initiation notwendig." (S. 36)
Hinsichtlich der oft vertretenen Auffassung, daß homosexuelle Kontakte in der Kindheit zu bleibender Homosexualität führen, möchte ich noch kurz auf einen offiziellen niederländischen Bericht eingehen. Nach dem Bericht der "Kommission Speijer" an Justizminister Polak, der den Aspekten der geistigen Volksgesundheit große Aufmerksamkeit gewidmet hat, ist der Begriff "Verführung" in diesem Zusammenhang nicht mehr annehmbar. So kommt die Kommission zu der Schlußfolgerung, daß es nicht gerechtfertigt ist, "Verführung" im Sinne von "jemanden zu einem bleibenden homosexuellen Verhalten bringen" aufzufassen.
In diesem Bericht des "Gesundheitsrates" heißt es: "Die Kommission ist der Auffassung, daß es Gründe gibt, nachdrücklich auf die positiven Aspekte homosexueller Beziehungen hinzuweisen". Ferner äußert sie die Ansicht:
"Durch Mangel an Kontakten und Initiationsmöglichkeiten kann sich der Jugendliche über lange Zeit hin in einer Art Vakuum bewegen. Das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung ist hier besonders stark. Mehr Offenheit und mehr Kontaktmöglichkeiten dürften nicht nur dem jugendlichen Homosexuellen bei seinen Reifeproblemen helfen, sondern können auch für den heterosexuellen Jugendlichen eine positive Bedeutung haben. Der amerikanische Psychiater Sullivan weist mit Nachdruck auf das Bedürfnis nach engen Beziehungen in der präadoleszenten Phase hin. Dabei hält er es für wünschenswert, daß diese Beziehungen eine große Intimität erreichen."