[Base] [Index]

Beredtes Schweigen - wie Wissenschaftler sich hüten, die volle Wahrheit zu sagen

Eine Befragung und ihre Auswertung als Beispiel

Die Zensur in der Pädophilie-Frage findet in Amerika inzwischen offen statt. Wie sieht es in Deutschland aus? Auch hier ist der politische Druck erheblich. Wir wollen dies indirekt zeigen - am Beispiel einer wissenschaftlichen Arbeit:

Hertha Richter-Appelt, Sexuelle Traumatisierungen und körperliche Misshandlungen, in Rutschky/Wolff (Her.), Handbuch sexueller Missbrauch, Hamburg, Klein 1994

Was wir hier zeigen, sind Indizien für eine "Manipulation durch Weglassen" mit dem Ziel, zu verschleiern, wie sehr die Daten den üblichen Vorstellungen zu den Folgen von sexuellem Missbrauch widersprechen. Einmal wird nur ein Teil der Daten präsentiert - "zufällig" aus dem Gebiet, in dem der Widerspruch zwischen Dogma und Realität noch am geringsten ist (unerwünschte sexuelle Erfahrungen von Frauen). Zweitens werden die Ergebnisse so kommentiert, dass der Widerspruch zwischen Dogma und Realität kaum auffällt.

Was wir keineswegs wollen, ist, der Autorin deswegen moralische Vorwürfe zu machen. Im Gegenteil - sie solidarisiert sich mit denen, die den "Missbrauch mit dem Missbrauch" bekämpfen, und muss sich deshalb gefallen lassen, als Teil einer "Täterlobby" bezeichnet zu werden. Eine absurde Anschuldigung. Eine wirkliche "Täterlobby" bräuchte nur die Zahlen der Arbeit zu nehmen, wie sie sind, um zu ganz anderen Forderungen zu kommen - zur Forderung der Straffreiheit für Pädophilie.

Nein, die politische Situation ist einfach so, dass es sich die Autorin einfach nicht leisten kann, die ganze Wahrheit zu sagen. Und deshalb kann man ihr aus dieser "Manipulation durch Weglassen" keinerlei Vorwurf machen. Im Gegenteil - man kann es auch als ein Schreiben "zwischen den Zeilen" intepretieren, mit dem Daten, die dem Dogma widersprechen, durch die Zensur geschmuggelt werden.

Welche Zahlen werden präsentiert, welche nicht?

Kommen wir nun zur Arbeit selbst. Die erste Beobachtung ist, dass nicht alle Ergebnisse, die man den in der Untersuchung abgefragten Daten entnehmen kann, dargestellt und besprochen werden, sondern lediglich "einige ausgewählte Ergebnisse". Präsentiert werden Zahlen zu sexuellem Missbrauch und körperlicher Misshandlung von Mädchen. Die Untersuchung befragte jedoch auch Jungen, seelische Misshandlung, und positiv erlebte sexuelle Kontakte.

Hieraus ergibt sich die Frage: nach welchen Kriterien wurde ausgewählt? Es mag sein, dass die Autorin hier keinerlei Hintergedanken hatte - mit irgendetwas musste sie schliesslich anfangen, der Rest kommt später. Es mag also Zufall sein. Trotzdem, ich persönlich glaube dies nicht ganz. Denn normalerweise wird ein Wissenschaftler genau das zuerst präsentieren, was von anderen Wissenschaftlern noch nicht so gut untersucht worden ist - nur dies bringt in der Wissenschaft Ansehen. Hier ist es nun genau umgekehrt - aus ihren Daten wird genau das ausgewählt, was auch von anderen Wissenschaftlern schon intensiv untersucht worden ist:

Dies kann jeder leicht nachvollziehen, indem er in Datenbanken wie Medline oder Psychlit nach den entsprechenden Schlüsselworten sucht.

Warum also weigert sich die Autorin geradezu, Neuland zu betreten, wo sie wissenschaftlichen Ruhm ernten könnte? Und warum haben die anderen Wissenschaftler ihre Interessen so seltsam ungleichmäßig verteilt? Eine einfache Beobachtung zeigt: Je weniger die Resultate der öffentlichen Missbrauchs-Hysterie entsprechen, desto seltener werden sie publiziert. Dies suggeriert politische Gründe - Zensur durch Herausgeber oder Selbstzensur - als Erklärung.

Was sagen die Zahlen?

Trotz des Weglassens der Zahlen zu Jungen, zu einvernehmlichen sexuellen Kontakten und zur seelischen Misshandlung sind in der hier betrachteten Arbeit immerhin die Zahlen für körperliche Misshandlung vorhanden. Zahlen, die zeigen, dass die üblichen Vorstellungen zu den Folgen sexuellen Missbrauchs weit übertrieben sind.

In der Tat - die Arbeit betrachtet für eine Vielzahl (vierundzwanzig) der oft genannten Folgen von Missbrauch die folgenden vier Gruppen: nicht missbrauchte, sexuell missbrauchte, körperlich misshandelte, und sowohl sexuell als auch körperlich misshandelte Kinder. Im wesentlichen ergibt sich folgendes Bild: die auf beide Arten misshandelten Kinder zeigen weitaus mehr Störungen als die anderen Gruppen. Die misshandelten Kinder zeigen mehr Störungen als die nicht misshandleten. Und die Gruppe der körperlich misshandelten Kinder zeigt in etwa dieselben Zahlen wie die der sexuell missbrauchten - eher höhere als niedrigere. Ausnahmen bestätigen diese Regel. Insgesamt zeigt die Arbeit somit vergleichbare Folgen von sexuellem Missbrauch und körperlicher Misshandlung.

Dies verwundert auf ersten Blick noch nicht. Verwunderlich wird es, wenn man sich ansieht, wie sexueller Missbrauch und körperliche Misshandlung definiert sind - mit anderen Worten, welche Art von sexuellem Missbrauch und welche Art von körperlicher Misshandlung hier vergleichbare Schäden zeigen. Sexueller Missbrauch wurde definiert als "sexuelle Handlung ... bei der es zu einer körperlichen Berührung ... kam, die unter Anwendung von Druck oder Gewalt gegen den Willen der Befragten durchgeführt worden war. Ausserdem muss von der befragten Frau angegeben worden sein, dass sie sich als sexuell missbraucht bezeichnen würde". Körperliche Misshandlung wurde hingegen folgendermassen definiert: "Leichtere Misshandlungsformen (z.B. Ohrfeigen) mußten häufig angegeben worden sein; schwere Misshandlungsformen (z.B. Verbrennungen) wurden berücksichtigt, wenn sie mindestens einmal angegeben worden waren."

Wir haben also einerseits eine sehr restriktive Definition von Missbrauch - eindeutig enger als das, was im Strafrecht heute als Missbrauch betrachtet wird. Die Definition von körperlichem Missbrauch ist hingegen so weit, das durchaus noch legale Erziehungspraktiken darunter fallen. Bei einer Definition von sexuellem Missbrauch, die nur die schlimmsten Fälle umfasst, und einer so weiten Definition von körperlicher Misshandlung sollte man annehmen, dass die Schäden bei sexuellen Missbrauch erheblich größer sind als bei körperlicher Misshandlung. Falsch. Die Folgen sind vergleichbar. Bei fünfzehn der vierundzwanzig Problempunkte sind die Werte für körperliche Misshandlung sogar höher, nur bei sieben die Werte für sexuellen Missbrauch.

Um uns klarzumachen, wie sehr dies unseren Vorstellungen zu den Folgen von sexuellem Missbrauch widerspricht, brauchen wir uns nur klarzumachen, welche Forderungen eine echte "Pädophilenlobby" aufgrund dieser Zahlen stellen dürfte: nimmt man das Prinzip "gleiche Strafe für gleiche Schäden" als Grundlage, dann müßte es für die Kategorie "sexueller Missbrauch" dieselbe Strafandrohung geben wie für "körperliche Misshandlung". Die Strafandrohung für einvernehmliche pädophile Beziehungen - die nach allen verfügbaren Statistiken weniger gefährlich sind als unerwünschte sexuelle Handlungen - müssten noch geringer sein. D.h., pädophiler Sex, solange er ohne Druck und Gewalt stattfindet, müsste milder bestraft werden als häufige Ohrfeigen. Solange die nicht bestraft werden, hiesse das Straffreiheit für Pädophilie.

Wie werden die Ergebnisse kommentiert? Ein Versuch im Lesen zwischen den Zeilen

Finden wir eine dieser Forderungen auch nur andeutungsweise? Keineswegs. Dies macht klar, wie absurd es ist, die Mitstreiter von Rutschky und Wolff als Teil einer "Täterlobby" zu diffamieren, wie Enders dies in "Zart war ich, bitter wars" tut.

Zu welchen Schlüssen kommt nun die Autorin? Deutet irgendetwas darauf hin, dass sie zu anderen sachlichen Schlüssen kommt? Als im zwischen-den-Zeilen-lesen geschulter Ossi habe ich den Eindruck, dass sie zu denselben Ergebnissen gelangt ist, dies aber nicht offen sagen will. Dies schliesse ich aus folgender Textstelle: "Es erscheint völlig absurd, Folgen von sexuellem Missbrauch untersuchen zu wollen, ohne diese Faktoren zu berücksichten. Wie will man den wissen, dass nicht körperliche Strafen, seelische oder körperliche Vernachlässigung, Spannungen zwischen den Eltern, die dem sexuellen Missbrauch meist vorausgegangen sind, die schwerwiegenderen Traumatisierungen darstellen, so dass der sexuelle Missbrauch nur noch als harmlos in dieser Kette von Traumatisierungen erscheint, ja unter Umständen die einzige 'liebevolle', wenn auch sicherlich falsche Zuwendung darstellt?"

Was hier formuliert wurde, ist genau das, was die Zahlen nach unserer Interpretation nahelegen - im Einklang mit der Meta-Analyse von Rind et al. 1998. Allerdings nicht als Behauptung, sondern lediglich als Möglichkeit. Niemand kann die Autorin festnageln, sie hätte behauptet, dass es so sei. Ich will dies auch nicht tun - was ich daraus schliesse ist, dass sie über diese Variante nachgedacht hat. Und daher glaube ich, dass sie sehr wohl weiss, ob ihr Datensatz gestattet, diese Hypothese zu widerlegen oder nicht.

In der Tat - der Satz suggeriert deutlich die Frage, ob dies nun so ist oder nicht. Die anderen Studien wurden dafür kritisiert, dass sie nicht imstande seien, diese Frage zu beantworten. In dieser Studie wurden die Daten erhoben, die dazu nötig sind. Wissen wir jetzt mehr darüber, können jetzt nachweisen, dass die obige Vermutung nur ein Hirngespinst Paedophiler ist, die eine Ausrede für ihre Verbrechen suchen? Also, wie ist die Antwort?

Sie fehlt. In Zeiten der Zensur sind Fehlstellen allerdings wertvolle Information. Wir deuten diese Fehlstelle so, dass die Daten nichts hergeben, womit man die These widerlegen könnte. Und dass die Autorin dies nicht schreiben will.

Als Resume lesen wir: "... aber erst die Analyse der komplexen Zusammenhänge wird die Relevanz bestimmter Variablen ... deutlicher machen. Dennoch haben bereits diese ersten Auswertung die Wichtigkeit der Berücksichtigung körperlicher Misshandlung, wie auch anderer Faktoren, für ein differenziertes Verständnis von sexuellen Traumatisierungen deutlich gemacht." Auch dies eine interessante Phrase: "die Wichtigkeit deutlich gemacht". Scheinbar besagt sie nichts, zumindest nicht viel. Wäre körperliche Misshandlung allerdings wesentlich harmloser als sexueller Missbrauch, wie die öffentliche Meinung annimmt, dann wäre sie kaum angebracht - dann gäbe es diese Wichtigkeit nämlich nicht. Sie besagt also doch eine ganze Menge.

Es scheint also, dass die Autorin aus den Zahlen ähnliche Schlüsse gezogen hat wie wir, in guter Übereinstimmung mit der Studie von Rind et al. 1998. Andererseits hat sie keine Lust, dies auch zu schreiben. Bei einer oberflächlichen Lektüre der Arbeiten dürfte niemandem auffallen, wie sehr die Zahlen den Annahmen über die Gefährlichkeit von sexuellem Missbrauch widersprechen.

Resume

Die Betrachtung der Arbeit suggeriert also folgende Annahmen:

Aus dem politischen Kontext des Buches, in dem die Arbeit erschien, geht hervor, dass der Grund für diese Manipulationen nicht ideologische Verbohrtheit ist, sondern angemessener Selbstschutz der Autorin vor Vorwürfen, zu einer "Täterlobby" zu gehören, wie sie z.B. von Enders gegen die Herausgeber "und ihre Mitstreiter" gerichtet werden. Fanatikern kann man es allerdings nie recht machen, solange man nicht lügt. Dafür, dass sie durch Verengung des sexuellen Missbrauchs und Erweiterung der körperlichen Misshandlung wenigstens noch mit körperlicher Misshandlung vergleichbare Folgen sexuellen Missbrauchs erhalten hat, wird ihr vorgeworfen, "mit Hilfe einer zu eng gefassten Definition von sexueller Gewalt das wahre Ausmaß der sexuellen Ausbeutung von Kindern zu leugnen".

Dies macht plausibel, dass Selbstzensur der Wissenschaft auf diesem Gebiet auch in Deutschland Alltag ist. Selbst diejenigen, die offen gegen den "Missbrauch mit dem Missbrauch" auftreten, zensieren sich selbst - sowohl durch extrem zurückhaltende Kommentare als auch durch Wahl der Forschungsthemen.

Die Wissenschaftler forschen nicht dort, wo die heutigen Theorien zur Gefährlichkeit von sexuellem Missbrauch am ehesten falsifiziert werden können, wie es ihnen die wissenschaftliche Methodologie vorschreibt - im Gegenteil. Sie verhalten sich vielmehr wie Wissenschaftler unter Zensurbedingungen, unter denen die Falsifizierung des Dogmas nicht höchstes Ziel jedes Experiments, sondern ein höchst gefährlicher Tabubruch ist. Und da sie längst wissen, dass das Dogma falsch ist, vermeiden sie Untersuchungen dort, wo es bekanntermaßen falsch ist.

Der Zensor ist in diesem Fall die öffentliche Meinung, die in keinem Fall möchte, dass die Folgen von sexuellem Missbrauch unterschätzt werden. Es ist sicherlich ein guter Vorsatz, mit dem hier der Weg in die Hölle der Zensur gepflastert ist. Ein Vorsatz, der dazu führt, dass, egal wie übertrieben die Folgen bereits sind, nur die gehört werden, die behaupten, es sei noch schlimmer.