In Untersuchungen zur Schädlichkeit sexueller Kindheitserlebnisse ist die Einschätzung der Schäden durch die "Opfer" selbst eine wichtige und weit verbreitete Untersuchungsmethode. Dafür gibt es gute Gründe:
Normalerweise wird die Person, die ein Erlebnis gehabt hat, am ehesten sagen können, ob dieses Erlebnis positive oder negative Auswirkungen gehabt hat. Sie kennt die Situation besser, kennt Fakten und Gefühle, die sie auch dem vertrautesten Interviewer nicht erzählen wird, allein schon weil sie evtl. nicht voll bewußt oder nicht in Worten auszudrücken sind.
Oft ist sie in der Lage, einen Zusammenhang sicher auszuschließen, wo dies aufgrund von Tests schwerer fällt, z.B. wenn es die wirklichen Ursachen kennt oder weiß, daß die Probleme schon vor dem Erlebnis bestanden haben.
Allerdings muß auch die Einschätzung durch das Opfer nicht immer richtig sein. Welche Gründe kann es dafür geben, daß die Behauptung einer Person "A (eigenes sexuelles Erlebnis) hat B (Auswirkung)" falsch ist?
In einem konkreten Fallbeispiel ist es schwer, nachzuweisen, daß und welcher der hier diskutierten Punkte zutreffen. Der "Protest" des Opfers dürfte einem gewiß sein, und ein Hinweis auf "Gefühle", die man nicht beschreiben kann oder will, nicht zu widerlegen sein.
Trotzdem riskiere ich hier ein solches Beispiel. In diesem Fall nimmt ein primär dominanter Sadist an, daß ein Aspekt seiner Orientierung (primäre Dominanz) sei auf einen einmaligen sexuellen Kontakt zurückzuführen. Diese Zuordnung scheint mir nicht plausibel und durch die genannten Mechanismen erklärbar.
Diesing schätzte in seiner Untersuchung von 38 Fällen, in denen vom Opfer oder seinen Angehörigen Schäden behauptet wurden, nach seiner subjektiven Beurteilung oder anhand von Testergebnissen nur 6 als wirklich geschädigt ein.
Es ist durchaus anzunehmen, daß sich Opfer in der Behauptung einer Ursache-Wirkungs-Beziehung zwischen einem pädosexuellen Kontakt und nachfolgenden Problemen auch irren können. Die Diskussion der möglichen Mechanismen läßt erwarten, daß dies eher in der Richtung der Behauptung nicht vorhandener Beziehungen als umgekehrt zu erwarten ist.
Wie groß die einzelnen Effekte sind, ist schwer einzuschätzen. Im Einzelfall lassen sie sich schwer nachweisen, und bereits ein solcher Nachweisversuch ist problematisch. Er wird leicht als persönlicher Angriff auf die Glaubwürdigkeit des Opfers interpretiert.
sollte man als Möglichkeit zumindest nicht ausschließen. Dies kann in beiden Richtungen auftreten, je nach eigener ideologischer Überzeugung.
Bei Kindern ist möglich, daß sie sich gegen eigene Überzeugung der Meinung der Eltern anpassen. Baurmann nennt ein mögliches Beispiel.
Bei der bekannten Neigung des Menschen, sich der allgemeinen Meinung unterzuordnen, dürfte eine Falschaussage in der "mainstream"-Richtung, d.h. in Richtung Schäden aus sexuellem Kontakt, wahrscheinlicher sein als umgekehrt.
Die folgenden Gründe sind anderer Art. Das "Opfer" versucht, die wirkliche Ursache herauszufinden, kommt jedoch zu einem falschen Ergebnis.
In den letzten Jahren wird verstärkt bezweifelt, ob Erinnerungen aus der Kindheit auch wirklich den objektiven Sachverhalt richtig darstellen.
Insbesondere die Untersuchung von Fällen, in denen Kinder zu Aussagen gedrängt wurden, wobei dann Aussagen herauskamen, deren Wahrheitsgehalt offensichtlich gleich Null ist, bei denen aber trotzdem nicht anzunehmen ist, daß die Kinder bewußt falsche Aussagen machen, unterstützen diese Zweifel.
Wenn dies selbst für objektive Tatbestände gilt, ist anzunehmen, daß dies für weit weniger offenbare Ursache-Wirkungs-Beziehungen erst recht gelten kann.
Zu erwarten ist, daß sich die Erinnerungen hier eher der "offiziellen Meinung" anpassen als umgekehrt.
Es kann sein, daß die Person nicht weiß, daß A die Ursache von B sein kann.
In unserem Fall bedeutet dies, daß vorhandene Folgen sexueller Kontakte unterschlagen werden können.
In der augenblicklichen Situation dürfte jedoch das Gegenteil wahrscheinlicher sein. Zumindest eines geht aus dem Stand der Untersuchungen völlig eindeutig hervor - daß sexueller Mißbrauch als Ursache aller möglicher Folgen in den Medien eindeutig überschätzt und andere mögliche Gründe (z.B. physische und psychologische Gewalt) unterschätzt werden.
Der Einfluß von Vertrauenspersonen (Eltern, Lehrer, Psychiater), mit denen solche Erlebnisse, spätere Probleme sowie mögliche Zusammenhänge besprochen werden, sollte nicht unterschätzt werden.
Der Mensch hat jedoch einen inneren Horror vor der Abwesenheit von Gründen. Es ist völlig offensichtlich, daß man es vorzieht, eine falsche Ursache zu kennen als gar keine.
Die Popularität der Astrologie beweist diesen Effekt wohl ohne jeden Zweifel. Der klassische Aberglaube ist ein anderes Beispiel. Wer hat nicht schon am Freitag dem 13. Pech gehabt, selbst von denen die nicht "dran glauben"? Diese Extrembeispiele, bei denen nicht mal andeutungsweise eine Ursache-Wirkungs-Beziehung zu sehen ist, lassen erwarten, daß man bei einer Erklärung, die zumindest entfernt eine solche Erklärung andeutet, mit noch viel größerer Wahrscheinlichkeit Fehlinterpretationen erwarten kann.
Den "Horror vor der Abwesenheit von Gründen" kann man einfach erklären:
Die Gefahr, eine erkennbare Ursache nicht zu erkennen, ist groesser als die, eine falsche Ursache anstelle der objektiv nicht erkennbaren wirklichen Ursache anzunehmen. Solange ich die wirkliche Ursache einer Krankheit nicht erkennen kann, schadet es nicht viel, wenn ich annehme, sie kommt vom Sex.
Selbst wenn ich mit der Erklärung der Ursache danebenliege, und anstelle der wirklichen Ursache nur etwas öfter damit zusammenfallendes als Ursache ansehe, kann dies besser sein als gar nichts. Solange ich den Unterschied zwischen Tollkirschen und Kirschen nicht kenne, ist die falsche Annahme, Kirschen essen sei schädlich, sicherlich besser als gar keine.
Es ist immer schön, wenn ein Anderer an irgendwelchen unerwünschten Sachen schuld ist. Eine Tendenz, die man auch auf vielen Gebieten findet.
Dieser Aspekt könnte mit erklären, warum die Thesen von der Schädlichkeit von Masturbation und Sexspielen von Kindern untereinander schon lange ad acta gelegt sind, während die von der Schädlichkeit von Sex mit Erwachsenen immer noch populär ist.
Aussagen von Angehörigen, insbesondere von Eltern, sind in dieser Hinsicht besonders suspekt, vor allem da ungünstige Einflüsse des Elternhauses ähnliche psychische Folgen haben können wie sexuelle Gewalt.
Es kann aber auch sein, daß ein Kind Aussagen seiner Eltern in dieser Richtung akzeptiert und verinnerlicht, oder sie unbewußt schützen will und daher lieber einem Außenstehenden die Schuld an den Schäden zuweist.
Für sexuelle Orientierungen und Vorlieben ist es typisch, daß sie sich erst in der Pubertät zeigen. Insbesondere abweichende Interessen werden oft verdrängt und daher erst viel später bewußt.
Andererseits gilt bei vielen solchen Vorlieben, daß man rückblickend das Gefühl hat, man sei schon immer so gewesen. Zumindest für Homosexualität ist sich die Wissenschaft ziemlich einig, daß dieser Eindruck richtig ist, und das lange vor der Pubertät schon feststeht, ob jemand homosexuell ist oder nicht. Es ist anzunehmen, daß dies auch für andere sexuelle Varianten gilt.
Sucht man nach der Ursache einer Erscheinung, wird man versuchen, sich an ein früheres Auftreten der Erscheinung zu erinnern. Hat man die früheste Erinnerung gefunden, dann ergibt sich folgender Eindruck:
Die Schlußfolgerung, daß dieses Erlebnis die "Ursache" ist, ist daher ziemlich plausibel, trotzdem aber nicht unbedingt richtig.